Kreativer Komplizen-Kapitalismus

Ein Gespräch mit der Arbeitssoziologin Alexandra Manske – über die Erwerbsbedingungen in der sogenannten Kreativwirtschaft, die Manske in ihrem Buch „Kapitalistische Geister in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Kreative zwischen wirtschaftlichem Zwang und künstlerischem Drang“ (Transcript, 2016) untersucht hat. Das Gespräch erschien im Februar 2016 im Freitag.

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Frau Manske, nach der Lektüre Ihres Buches sieht man die heutige Arbeitswelt noch einmal mit anderen Augen. Fast egal, in welcher Branche: Alle wollen möglichst selbstbestimmt und kreativ arbeiten – alle wollen sich wie kleine Künstler fühlen. Dabei übersehen die meisten, wie übel sie ausgebeutet werden.

Ja, das könnte man als zugespitztes Fazit aus meiner Forschung ziehen. Als Arbeitssoziologin beschäftige ich mich intensiv mit der Kultur- und Kreativwirtschaft. Was dort in den 90er Jahren begann, ist über die nuller Jahre zum allgemeinen Standard geworden: Der kreative Mensch, der sich selbst organisiert, seine Arbeit nicht nur als Mittel zum Gelderwerb, sondern auch als ästhetische Äußerung oder als Selbstverwirklichung begreift, ist eher bereit, prekäre Phasen hinzunehmen. Er ist potenziell willens und in der Lage, sich jenseits herkömmlicher betrieblicher Arbeit durchzuschlagen, ohne groß zu murren.

Dieses Prinzip gefällt dem Neoliberalismus natürlich.

Absolut. Eine solche Selbstauffassung macht einen letztlich zu einem anpassungsfähigen Wesen.

„Wir wollen nicht mehr mit Geld bezahlt werden, sondern mit Liebe“, sagte der Schriftsteller Dietmar Dath einmal sinngemäß. Da scheint es um die Angst vor entfremdeter Arbeit zu gehen – genau wie bei den Erwerbstätigen, die Sie befragt haben, richtig?

Die alte fordistisch organisierte Arbeit war stark hierarchisch gegliedert. Für viele gut ausgebildete jüngere Menschen ist das nicht mehr attraktiv. Sich die Zeit frei einteilen zu können, auch Überstunden zu machen, aber im Gegenzug für seine indviduellen Leistungen anerkannt zu werden, ist für viele wichtiger geworden. Unter diesen Prämissen ist ein neuer Idealtypus des erwerbstätigen Menschen entstanden – das perfekte Rollenmodell für den flexiblen Kapitalismus.

Bevor wir diesen Idealtypus näher beleuchten: Woher kommt er, was genau ist unter der Kultur- und Kreativwirtschaft zu verstehen, die Sie untersucht haben?

Nehmen Sie freiberufliche Grafiker, Schauspieler oder Journalisten: In der Kultur, in den Medien und der Internetwirtschaft sind atypische Erwerbsverhältnisse seit jeher üblich. Man ist auf Zeit, als Pauschalist, auf Projektbasis beschäftigt. Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts betraf das vor allem „besondere“ Berufe, die gesellschaftlich ein vergleichsweise hohes Ansehen genossen. Spätestens seit Gerhard Schröders Agenda 2010 und seinem Entwurf der unternehmerischen Ich-AG sind solche Modelle auch in andere Branchen eingesickert. Nur dass jemand, der eine gute Idee hat, nicht zwingend über das nötige Startkapital verfügt.

Zeitarbeit und Werkverträge sind heute auch im Kurier- und im Klinikwesen üblich, bei Sprachlehrern, Leihbuchhaltern …

Ja. Ich konzentriere mich in meiner wissenschaftlichen Arbeit aber auf die Kultur- und Kreativwirtschaft im engeren Sinne. Sie ist längst keine Nischensparte mehr, sondern der am stärksten wachsende Wirtschaftszweig hierzulande. Jedes Jahr werden da 130 Milliarden Euro erwirtschaftet. Das ergibt eine Bruttowertschöpfung von über 60 Milliarden, mehr als in der Chemiebranche zusammenkommt.

Die Zahl der Erwerbstätigen ist in diesem Bereich ganz enorm gestiegen, schreiben Sie.

Sie hat sich über die vergangenen 20 Jahre verdreifacht. Kein Erwerbsfeld ist seit den 70ern stärker expandiert. Rund 1,6 Millionen Menschen verdienen heute ihr Geld in diesem Sektor, deutlich mehr als in der Autobranche

Was oder wer genau gehört dazu?

2009 hat die Wirtschaftsministerkonferenz die elf Teilbranchen genau festgelegt: die Musik-, die Rundfunk- und die Filmwirtschaft, der Buch- und der Kunstmarkt, die Darstellenden Künste, die Architektur, das Pressewesen, die Werbung, die Software- und Spieleindustrie und die Designwirtschaft. Letztere habe ich nun genauer untersucht.

Und Sie kamen zum Schluss, dass Menschen, die in diesem oder verwandten Feldern tätig sind, oft sehr wenig verdienen. Alles Kandidaten für Altersarmut.

Je nachdem, wie man über die Kreativwirtschaft berichtet, kann man ihre ökonomische Potenz betonen und eine Erfolgsgeschichte skizzieren – oder ein herbes Prekarisierungsbild zeichnen. Mein Ansatz war ein anderer: Wie sieht eigentlich die soziale Praxis hinter dem Diskurs aus? Das Ergebnis: Selbstausbeutung ist das A und O.

Bitte nennen Sie Beispiele.

Wer als freier Kreativer oder in einem klassischen Kulturberuf arbeitet, ist im Regelfall in der Künstlersozialkasse (KSK) versichert. Deren Mitglieder verdienen im Schnitt 15.000 Euro brutto im Jahr. Das Gefälle zwischen Frauen und Männern ist hier oft höher als in herkömmlichen Wirtschaftsfeldern: Männer kommen im Schnitt auf 17.000, Frauen nur auf 13.000 Euro.

Die Gewinne bleiben bei Verlagen, Sendern, Konzernen hängen.

Nicht nur dort. Die Kreativwirtschaft ist für die urbane Ökonomie insgesamt sehr wichtig. Je mehr Kultur, desto attraktiver wird eine Stadt im globalen Standortwettbewerb. In Berlin ist inzwischen jeder zehnte Erwerbstätige im Kreativ- oder Kultursektor beschäftigt, in Hamburg sind es acht Prozent. Den steilsten Anstieg seit 2005 gab es in München. Jeder Zweite dieser kreativen oder Kulturarbeiter kann von seiner eigentlichen Tätigkeit aber nicht leben. Er ist auf zusätzliche Brotjobs angewiesen. Das ist die Standbein-Spielbein-Methode.

Künstler früherer Tage haben ganz bewusst eine prekäre Bohème-Existenz gesucht.

Ja, bis in die 70er war das so: Ein Künstler bewegte sich mit seinem Lebensentwurf bewusst außerhalb der Norm. Aber seither haben wir es mit einem strukturellen Wandel zu tun, der in die Breite geht. Die Kunst- und Fachhochschulen bieten jetzt Seminare zur Selbstvermarktung an, ein Training für den scharfen Markt, von Anfang an.

Eine Festanstellung streben viele aber ohnehin nicht an, oder?

Das ist eben der Reiz, sich selbst lieber als Künstler wahrzunehmen statt als Dienstleister. Es ist die Mentalität des „ästhetischen Kapitalismus“, wie der Kulturwissenschaftler Andreas Reckwitz unsere ökonomische Gegenwart nennt. Auch wenn man bloße Gebrauchsgrafiken oder PR-Texte nach strengen Vorgaben erstellt oder als Programmierer nur ein Zulieferer ist: Die Selbstauffassung, etwas Besonderes zu tun, keinen „normalen Bürojob“ zu haben, ist für viele eine entscheidende Säule ihrer Identität im sozialen Raum.

Laut Ihrem Buch sind es die Nachfahren der alten abgesicherten Mittelschicht, die so denken. Da ist noch ein starker Wille zum sozialen Aufstieg vorhanden.

Genau da liegt eine Bruchstelle. Erst über die Zeit merken viele, wie viel Energie es kostet, sich immer wieder aus eigener Kraft auf dem Markt zu behaupten und um Aufträge und Honorare zu kämpfen. Oder zum Aufstocker zu werden.

Sie schreiben von einem großen Aufwand an „Statusarbeit“.

Dabei geht es um das Anhäufen symbolischer Anerkennung. Ich befragte eine Illustratorin, die darauf beharrt: „Ich mache keine Werbung, ich mache Kunst!“ Die Auftragsarbeiten, mit denen sie etwas verdienen kann, sind oft nicht anspruchsvoll. So fühlt sie sich anhaltend verkannt. Sie kämpft nicht nur mit wirtschaftlichen Zwängen, sondern auch mit der Kränkung ihrer Qualifikation und ihres Selbstbilds. Ihr Büro räumt sie öfters zur Galerie um und veranstaltet Vernissagen für andere Illustratoren. Sie hofft, dass sich das in den sozialen Medien verbreitet, damit sie doch noch Zugang zu dem Milieu erhält, das sie als künstlerische Sphäre versteht und anstrebt.

Eine ganz schön wackelige Investiton ins eigene Prestige.

Ja. Sie finanziert das von ihren prekären Mitteln vor, ohne zu wissen, ob es sich je auszahlt. Bei meinen Recherchen habe ich einige Burn-out-Fälle getroffen, gerade in der Designbranche: relativ junge Menschen, die nach acht oder zwölf Jahren am Ende ihrer Kräfte sind. Für viele ist die selbst organisierte Kreativarbeit aber längst ein ganz normaler Job, auch ohne dass sie sich als Ausnahmesubjekt fühlen. Und sie wünschen sich sogar, dass ihre Interessen kollektiv organisiert werden, ob gewerkschaftlich oder in einem anderen Interessenverband. Man muss klar sehen: Der Anteil der Soloselbstständigen, die ganz auf sich allein gestellt werkeln, liegt im Kreativsektor bei 70 Prozent, in sonstigen Erwerbsfeldern nur bei zehn Prozent.

Und mit jeder Entlassungswelle in den Medien kommen ein paar Hundert hinzu. Sie unterscheiden in Ihrem Buch zwischen drei Typen: zwischen den Opfern und den Komplizen dieser Struktur – und dem Unternehmertypus.

Das sind Zuschreibungen, die sich durch die Literatur zum Thema ziehen, ich habe sie untersucht. Zum Opfer werden viele durch Honorardumping oder Selbstausbeutung. Aber oft sind diese Leute auch Komplizen der Struktur, weil sie aus der symbolischen Anerkennung als Quasi-Künstler einen gewissen Gewinn ziehen. Am leichtesten ist es wohl für diejenigen, die sich unsentimental als Unternehmer begreifen und sich an Erfolgsgeschichten wie der der Samwer-Brüder und des Onlinehandels Zalando orientieren. Solche Leute stammen oft aus dem gehobenen Bürgertum. Während diejenigen, die sich in der Prekarität verfangen, meist aus weniger wohlhabenden Familien kommen.

Vielen Dank für diese Einblicke.

Alexandra Manske, 45, forscht und lehrt im Feld der Arbeitssoziologie. 2005 hat sie an der Berliner Humboldt- Universität promoviert, mit einer Doktorarbeit über die soziale Lage von Internetdienstleistern. Aktuell hat sie eine Vertretungsprofessur an der Uni Hamburg inne, im Fachbereich Sozialökonomie. Ende 2015 erschien ihr Buch „Kapitalistische Geister in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Kreative zwischen wirtschaftlichem Zwang und künstlerischem Drang“ (Transcript-Verlag, 454 S., 39,99 €)