Romantisches Endspiel

Ein glossierender Valentinstags-Essay, erschienen am 14.2.2023 im Zürcher Tages-Anzeiger

Eine freundliche Frage zu Beginn: Gibt es irgendwo irgendwen, der an den 14. Februar glaubt? Den „Tag der Liebe“?

Falls eine solche Person tatsächlich (noch) existiert: Wäre es nicht schändlich, sich über sie lustig zu machen? Eher müsste man sich doch vor sie stellen und, im Sinne der Toleranz und des Minderheitenschutzes, rufen: „Lasst diesem armen Individuum seine staubigen Träume! So ein bisschen Folklore tut doch niemandem weh!“

Über den Valentinstag herzuziehen, ist wirklich nicht elegant. Mit den Gefühlen anderer Leute spielt man nicht. Wobei, das muss halt auch eingeräumt werden, die Kalauer verführerisch nahe liegen. Es reicht schon, kurz zu schauen, was der weltgrößte Onlinehändler zum 14. Februar offeriert: einen „Valentinstagbär“ aus Legosteinen, „er kann auch seine Ohren bewegen.“ Eine „Sternschnuppe“ in Gestalt eines „Meteoritensplitters“, inklusive „Sternschnuppenzertifikat“, welches „Platz für deine eigene Signatur bietet“. Sowie das Bastel-Set „GipsME 3D“, für Pärchen-Handabdrücke, mit „Eimer zum Anrühren“, „450g Alginat Abformmasse“ und „passend rotem Geschenkband aus Satin“.

Manche Stimmen, vor allem konservative, zitieren zur Ehrenrettung des 14. Februar gern aus dem alten Rom. Da fing es angeblich an – mit dem heiligen Valentinus. Er soll als Märtyrer gestorben sein, weil er Soldaten zu Ehemännern machte, obwohl das verboten war. Mit höfischen Balzritualen ging es tausend Jahre später weiter. Dann mit Shakespeare, der seinem berühmten Hamlet die hübsche Ophelia an die Seite dichtete, als Liebchen beziehungsweise „Valentine“, wie es im Orginaltext aus dem 16. Jahrhundert heißt.

Dass ein Mensch, der hier und heute zum 14. Februar ein „Schmetterlinge im Bauch“-Bouquet bei Fleurop bestellt, die passenden Bibelverse oder Shakespeare-Stellen parat hat, ist schlechterdings schwer vorstellbar. Eher ist er wohl den Einflüsterungen des Kapitalismus gefolgt. Und daran ist im Prinzip auch gar nichts verkehrt, bekanntlich hängen wir alle da drin.

„Samenkugeln für das Gedeihen der Liebe“ werden für um die dreißig Franken an die Haustür geliefert, und beim Coop gibt’s zum Romantikdatum einen Rosé Prosecco für sagenhaft günstige neunfünfundsiebzig. „Leider bekommt man den Zapfen nur mit vereinten Kräften raus“, schreibt eine Monica im Kundinnenforum. Ja – eben! Genau darum geht es doch beim Valentinstag: um vereinte Kräfte. Darum, dass die Menschen wieder zusammenfinden und sich lieb haben. Gerade das läuft seit einer Weile allerdings nicht mehr ganz so rund. Betrachtet man die steigenden Zahlen von Scheidungsfällen und Einpersonenhaushalten, von Alleinerziehenden und „selbstbewussten Singles“, drängt sich die Frage auf: Wer macht bei dem Rummel eigentlich noch mit?

„Das weibliche Geschlecht“ winkt ab

Längst nicht mehr so viele wie früher – das zeigen in diesem Februar Umfragen aus verschiedenen Ländern, etwa eine Erhebung von Eurojackpot. Als dicker Fisch im Glücksspielbusinnes kennt dieses Unternehmen sich mit Schicksalsfragen aus. Das Lager der „Valeninsmuffel“ wachse kontinuierlich an, heißt es jetzt von dort. Und: „Das weibliche Geschlecht führt deutlich in dieser Gruppe.“

Tatsächlich lässt sich die Geschichte des 14. Februar nicht nur kulturell und ökonomisch beleuchten – man kann sie auch als kleine Chronik des Geschlechtergerangels interpretieren. In Deutschland, zum Beispiel, war der Valentinstag praktisch unbekannt. Bis US-Soldaten ihn 1945 dorthin exportierten. Den deutschen Männern kam das sehr gelegen. Seit den liberalen 1920er Jahren und während des Krieges waren Frauen verstärkt in den Arbeitsmarkt vorgedrungen. Jetzt legten die Männer ihre Wehrmachtsuniformen ab und wollten ihre Jobs wieder für sich haben. Der Frau sollte sich „zurück an den Herd“ trollen, und damit sie dazu bereit war, musste die Romantikpropanda angeworfen werden, unter anderem mit dem ersten „Valentinsball“ auf deutschem Boden, er fand 1950 in Nürnberg statt.

Rund siebzig Jahre – und einige Feminismuswellen – später sorgte der britische Verhaltenspsychologe Paul Dolan mit folgendem Rat für Aufsehen: „Wenn Sie ein Mann sind, sehen Sie zu, dass Sie heiraten. Wenn Sie eine Frau sind, lassen Sie besser die Finger davon.“ Akribisch hatte Dolan internationale Langzeitstudien queranalysiert, Daten aus allen Milieus und Klassen. Mit dem Ergebnis: „Die gesündeste und glücklichste Bevölkerungsgruppe sind Frauen, die nie geheiratet und keine Kinder haben.“ Schnell sprachen sich seine Erkenntnisse herum, dem Internet sei Dank. Aber auch vorher war die Zahl romantikresistenter Frauen schon markant gestiegen, nicht nur in Europa und den USA, auch in Fernost, China, Korea und Japan, wo der Valentinstag in den 1930er Jahren mit viel Tamtam eingeführt worden war – vom größten Schokoladenhersteller des Landes.

Heute lästern Japanerinnen scharfzüngiger als alle anderen über das Pärchenwesen, die Ehe bezeichnen sie als „muimi“, „überflüssigen Nonsens“, die japanischen Behörden schlagen Alarm, sie befürchten einen dramatischen Bevölkerungsrückgang. In Südkorea hat sich seit den 2010er Jahren eine breite Subkultur der Partnerschaftsverweigerung gebildet, junge Männer und Frauen sind gleichermaßen dabei, sie bezeichnen sich als „Honjok“, „Einpersonenstamm“. Derweil schwärmen junge Frauen im westlichen Teil der Welt von einem „Single Positivity Movement“und schmücken ihre digitalen Profile mit Hashtags wie #selfpartner und #happymehappylife. Feministinnen wie Laurie Penny, Schauspielerinnen wie Emma Watson, Musikerinnen wie Natalie Imbruglia sind vorn dabei.

Aufmerksam beobachten die Jüngeren, wie es in den Partnerschaften ihrer Mütter oder Großmütter läuft. Oft sind sie besser ausgebildet als ihre Vorgängerinnen, sie wissen wer im heterosexuellen Pärchenalltag für gewöhnlich den Dreck weg macht, wissen auch von der Gewalt, die in den heimischen vier Wänden ausbrechen kann. Und vom Monogamiemärchen. Bei der Schnellsexorganisationsmaschine Tinder sind angeblich vierzig Prozent der herumvögelnden Kundschaft fest liiert. Ja, wer kennt sie nicht, die gehetzten Blicke der Gebundenen, wenn sie heimlich die Smartphones ihrer besseren Hälften ausspionieren, um herauszufinden, ob er oder sie sich „mit jemandem schreibt“.

Kurz mal eben die „Valentingsangst“ erfinden

Nie war die enge heterosexuelle Zweisamkeit so unattraktiv und so unnötig wie heute – zumindest aus Frauensicht. Kein Wunder, dass viele heute nicht nur jenes Lebensmodell voller Skepsis mustern, sondern auch die billigen Tricks aus dem Romantikzauberkoffer. Es ist wirklich auffällig: In der Saison 2023 macht sich der Valentins-Sarkasmus überall breit, bis hinein in die Abfallentsorgungsbranche: Die Aachener Stadtreinigung beklagte kürzlich in einem Pressestatemnt, es gebe zu viel „Liebesmüll zum Valentinstag“.

Geschlagen gibt sich die Romantikindustrie freilich noch nicht. In den 1980er Jahren, als die Zahl der Singles dies- und jenseits des großen Ozeans massiv anstieg, prägten geschäftstüchtige Psychologen den Begriff valentine anxiety: „Valentinsangst“. Bis heute geistert er durch sogenannten Frauenmagazine. Gemeint ist die Furcht, am 14. Februar keine rote Rose zu bekommen, keine Verehrerschoggi, nicht mal eine Whatsappnachricht: „Willst du mit mir gehen? Ja? Nein? Vielleicht?“

Auch der schweizerische Migros-Konzern reagierte damals rasend schnell auf die weltweite Explosion des Single-Tums – indem er 1987 erstmals eine „Valentins-Kampagne“ für seine Produkte startete. Es setzte das ein, was bis heute „Single-Shaming“ genannt wird: Wer, aus welchen Gründen auch immer, allein durchs Leben geht und auch am Valentinszinnober kein Interesse zeigt, sieht sich einem Dauerregen aus dummen Fragen, Vorwürfen und Therapieangeboten ausgesetzt. Gegebenenfalls wird ihm oder ihr ein schwerer Grad von „Valentinsangst“ angedichtet. „Diejenigen, die niemanden haben, werden bemitleidet. Diejenigen, die niemanden wollen, werden als Bedrohung gesehen“: So formulierte es einmal die amerikanische Psychologin Bella DePaulo.

Unterschlagen wird dabei, dass die „Valentinsangst“ für viele Menschen längst in umgekehrter Weise funktioniert. „Hoffentlich kommt er, sie, es am 14. nicht mit so einem ,Romantik‘-Stuss an“, denken diese Leute, „Hilfe, da würde mir die Liebe sofort wieder vergehen!“

Das „romantische“ Programm mit dem Rosenkavalier und der Möchtegernprinzessin ist, kapitalistisch ausgedrückt, heute nur noch eine Lifestyle-Option von vielen. Je mehr Tinder, desto mehr Valentinsramsch – je schneller Ehen scheitern, desto bombastischer die Event-Pakete der Wedding Planer. Vieles deutet darauf hin, dass gerade das letzte große Endspiel im jahrtausendealten Hetero-Drama stattfindet, und es gibt halt Menschen, denen das Spaß macht, so wie andere ihre Freude an Mittelaltermärkten oder der Frettchen-Zucht haben. Vorschlag: Man lasse sie gewähren. Und lasse alle anderen damit in Ruhe.

Ein klitzekleines Valentinsbonbon soll hier diskret aber doch noch platziert werden – für die alleinlebenden Damen: Sollte Ihnen heute, am verfluchten 14. Februar, jemand schräg kommen, weil sie keinen Donald Duck an ihrer Seite vorweisen können, lassen Sie locker den Namen „Esther Howland“ fallen. Es ist nämlich so: Als in den 1860er Jahren die Nachfrage nach Valentinsgrußkarten in den USA ansprang, richtete Esther Howland im Haus ihrer Familie eine Werkstatt ein, die sich bald zu einer Fabrik auswuchs. Produziert wurden Karten mit vorgedruckten Liebesgrüßen. Howland stellte ausschließlich Frauen ein und bezahlte ihnen anständige Löhne. Viele Näherinnen, Lehrerinnen, Fabrikfrauen und wahrscheinlich auch Valentinsarbeiterinnen wurden später zu Suffragetten, den ersten Frauenrechtlerinnen. Und Esther Howland? Die ließ sich als Unternehmerin bewundern. Und machte privat einen großen Bogen um allen Valentinskitsch. Sie liebte Mode und war eine leidenschaftliche Reiterin und blieb bis zu ihrem Lebensende happy alone.