5 Fragen an ….

… Katja Kullmann.

Gestellt von Lina Muzur, Verlagsleiterin von HanserBerlin, veröffentlicht bei HanserBerlin im Herbst 2021

 

Zwanzig Jahre nach deinem Bestseller Generation Ally kommt nun ein Buch von dir über die alleinstehende Frau, „Die Singuläre Frau“. Wie kamst du zu diesem Thema?

Ich war verblüfft, als mir eines Tages aufging: Damals habe ich im Grunde über meine eigene Zukunft geschrieben – ohne es jedoch zu ahnen. Und eben nicht nur über meine eigene. Mir fiel auf, wie viele Frauen sich allein durchschlagen: Frauen, die obdachlos sind, Frauen in der Politik, im Sport, der Kultur. Einige sprechen offen und selbstbewusst darüber, etwa die Politikerin Ilse Aigner, die Pop-Ikone Kylie Minogue, die Boxerin Regina Halmich oder die frühere US-Außenministerin Condoleezza Rice. Viele machen keine große Sache daraus, andere feiern es, wieder andere leiden darunter. Noch immer gilt die Paarbildung als die „normale“ Lebensform für erwachsene Menschen, insbesondere für heterosexuelle. Faktisch führt ein wachsender Teil der Bevölkerung aber ein ganz anderes Leben, das zeigen ja auch die Statistiken. Insbesondere Frauen kommen in ihren mittleren Jahren oft zum Schluss: Ohne Partner geht es ihnen letztlich besser. Sie sind es, die mehrheitlich Scheidungen einreichen oder sich nach einer Trennung lieber auf ihre Freund- oder Nachbarschaften konzentrieren, statt einen neuen Partner zu suchen. „Huch, ich bin auch so eine geworden. Warum eigentlich?“, dachte ich irgendwann. Und begann – zunächst sehr unsicher und ziemlich widerwillig –, mich mit dieser Frage auseinanderzusetzen.

Warum ist es höchste Zeit, einen neuen Namen für die Frau ohne Mann zu finden?

„Einsame Akademikerin“, „Alte Jungfer“, „Egoistin“, „Trauerkloß“: Bis heute sind viele abschätzige Bezeichnungen für die alleinlebende Frau in Gebrauch. Als ob sie einen Schaden hätte und automatisch unter ihrer Lebensweise leiden müsste. Auch mit dem Begriff „Single“ können sich viele Frauen nicht identifizieren, dazu gibt es sogar Studien – denn dem Begriff „Single“ haftet etwas von „ewiger Suche“ an. Das liegt auch an Filmen und TV-Serien wie Bridget Jones, Sex and the City oder eben AllyMcBeal, die Anfang der Nullerjahre das Bild der „Frau ohne Mann“ nachhaltig prägten: Sie sahen alle super aus, hatten schicke Jobs und verdienten eine Menge Geld – und rieben sich dennoch tagein, tagaus daran auf, doch noch „den Richtigen“ zu finden. Weder haben reale Frauen ohne Partner einen derart glamourösen Alltag, noch haben sie alle Karriere gemacht, und vor allem ist die Partnersuche nicht unbedingt ihr Lebensinhalt. Etwas besser gefällt mir das Wort „Alleinstehende“. Doch auch diesen Begriff mögen viele Frauen nicht, weil sie ihn mit Alterstraurigkeit, einem tragischen Witwenschicksal, einer Art Opferstatus verbinden. In der Soziologie ist angesichts der zunehmenden Individualisierung heute allgemein von der „Singulären Gesellschaft“ die Rede. Ich glaube: Die alleinlebende Frau ist eine ganz entscheidende Figur in dieser Gegenwart – kein bedauernswerter „Problemfall“, sondern eben ein etablierter „Normalfall“. Also habe ich versucht, mit diesem Begriff zu spielen. Auch um die alleinlebende Frau ein wenig zu entlasten: Es ist nichts „verkehrt“ an ihr!

Wie könnte die Zukunft der Singulären Frau aussehen?

Schaut man auf das 20. Jahrhundert zurück, erkennt man schnell: Frauen ohne feste Partnerschaft waren Pionierinnen in vielen Bereichen, etwa, wenn es um das Frauenwahlrecht geht. Die alleinlebende Frau ist ein mächtiger Modernisierungsfaktor aus Fleisch und Blut, ob sie es im Einzelfall beabsichtigt hat oder nicht. Heute sprechen wir von der „dritten Welle des Feminismus“ und vom sogenannten Queerfeminismus, in dem sich alte binäre Geschlechterrollen glücklicherweise auflösen, für mehr Freiheit, zum Wohle aller. Ich glaube, die Frau ohne Begleitung ist nicht nur eine Vorfahrin dieser Entwicklung, sie wird auch weiterhin eine wichtige Akteurin sein. Wie wollen wir in Zukunft leben? Alle einzeln in unseren Einpersonenhaushalten? Oder werden wir neue Strukturen des Zusammenlebens entwickeln? Und was soll überhaupt der ganze Quatsch, „typisch Frau“, „typisch Mann“? Die Erste, die die patriarchale Herrschaftsordnung vor rund zweihundert Jahren öffentlich sichtbar in Frage gestellt hat, war die Frau, die dankend auf einen Ehegatten verzichtete – allen politischen und gesellschaftlichen Widerständen zum Trotz.

Wie persönlich ist dein Buch?

Im Grunde durchleuchte ich meine eigene Existenz als ein beliebiges Fallbeispiel von vielen – und betrachte das als eine Art Gesprächsangebot. Ich denke nicht, dass „eine für alle“ sprechen kann. Zu unterschiedlich sind die Gründe und auch Bedingungen, unter denen Frauen ihr Alleinleben gestalten können, müssen oder wollen. Im Vergleich zu vielen anderen bin ich recht privilegiert, als Weiße, mit einer guten Ausbildung, einem soliden Auskommen als Journalistin. Dennoch sehe ich viele Verbindungen zum Leben anderer Frauen ohne Partnerschaft – und diese Linien versuche ich aufzuzeigen, auch als ein Akt von Solidarität. Die ersten beiden Frauen, mit denen ich mich vor Jahren ernsthaft über das weibliche Alleinsein unterhielt, waren meine früh verwitwete Oma und eine junge Woman of Color, eine Schwarze Single Mom aus der verarmten US-Stadt Detroit, die sich und ihre fünf Kinder auf eigene Faust durchzubringen versuchte. Beide haben mich stark beeindruckt. Aber erst heute begreife ich den feministischen Kern, den solche Lebensläufe enthalten, ob es nun freiwillig oder unfreiwillig dazu kam. Für mich selbst war es durchaus ein schmerzhafter Prozess, die „Frau ohne Mann“ in mir selbst zu erkennen, zu akzeptieren – und schließlich auch zu begreifen, wie gut es mir, und vielen anderen, in Wahrheit damit geht.

Du hast sehr viel für dein Buch recherchiert. Welcher Fund hat dich dabei selbst am meisten überrascht?

Als ich mit der Recherche begann, war ich zunächst regelrecht angewidert von der grellen, oft wirklich dummen Vibrator- und Prosecco-Prosa, die es über sogenannte Single-Frauen gibt – all dieser trotzköpfige Schenkelklopfer-Humor im Sex and the City -Stil. Eine merkwürdig überdrehte Selbstironie, durch die dennoch immer eine gewisse Verzweiflung und Verzagtheit blitzt, so kam es mir vor. Ich fand mich überhaupt nicht darin wieder. Nach und nach fräste ich mich forschend durch die Zeit – und war überrascht, wie viel selbstbewusster, oft auch radikaler, Frauen früherer Generationen mit ihrem Alleinsein umgingen. Vor allem rund um die Jahrhundertwende und besonders in den 1920er Jahren muss es fürchterlich anstrengend, aber auch irre aufregend gewesen sein, als Solistin zu leben. Besonders berührt hat mich ein Fund aus dem Jahr 1960: Eine Publizistin namens Regina Bohne hat damals ein Sachbuch mit dem Titel Das Geschick der zwei Millionen veröffentlicht. Die zwei Millionen, das waren die in jenen Tagen statistisch erfassten ledigen Frauen in Westdeutschland, alleinerziehende – damals sagte man: uneheliche – Mütter eingeschlossen. Bohne schreibt über die Existenznöte und den Alltagssexismus, die vielen Erniedrigungen, die eine „Frau ohne Mann“ in jenen Tagen erlitt. Aber sie lässt auch sehr viele Frauen zu Wort kommen, die sich mit erhobenem Haupt gegen jene Angriffe zur Wehr setzten und ihre ganz eigenen Überlebensstrategien entwickelt haben. Mittlerweile sind aus Regina Bohnes zwei Millionen rund neun Millionen geworden. Und ich wage die Prognose: Es werden noch mehr werden.