AHOI,
und das heute auf musikalische Art.
Oder sagen wir, mit großzügigem Räuspern: auf mehr oder minder musikalische Art.
Oben sehen Sie eine der skurrilsten Schallplatten aus meinem Bestand: das Album ASTROLOGY SONGS, mit zwölf, nun ja, Sternzeichen-Liedern, komponiert und gesungen von einem US-amerikanischen Multitalent namens Harvey Sid Fisher.
Die LP erschien 1993 bei einem kleinen Independent-Label namens Amarillo Records1, ungefähr zehn Jahre später, Mitte der 2000er, fiel sie mir zufällig in die Hände, beim Wühlen an irgendeinem Flohmarktstand oder in einem 2nd-Hand-Vinyl-Laden (ich weiß es nicht mehr genau).
Schon allein der Titel verführte mich zum sofortigen Erwerb dieses Werks. Und natürlich die Songliste: Auf der A-Seite die Kracher: Aries – Taurus – Gemini – Moonchild – Leo – Virgo. Auf der B-Seite, auch nicht schlecht: Libra – Scorpio – Sagittarius – Capricorn – Aquarius – Pisces.
Und, nicht zuletzt, der kleine Biokasten auf der Coverrückseite, mit Stichworten zum Komponisten und Interpreten – dem mir bis dahin gänzlich unbekannten Harvey Sid Fisher eben. Wörtlich heißt es dort:
Harvey Sid Fisher also writes screenplays, is an actor, one of L.A.’s Top 10.000 photographic models, plays golf, teaches golf, and as of Aug. 1993 is twelve years macrobiotic.
Ein makrobiotischer Golf-Lehrer, der Drehbücher schreibt und sich auch als „Top-Model“ und Schauspieler verdingt: Spitzenbiografie – fand ich.
Höchst gespannt legte ich die Scheibe zu Hause dann auf und …
…. bekam Dinge zu hören, die ich SO noch nie irgendwo zu hören bekommen hatte.
Ich würde nicht sagen wollen, dass es sich um die 12 schlechtesten Songs, die je geschrieben wurden handelt (auch wenn diese Kategorisierung, rein sachlich betrachtet, durchaus hinkommen könnte) – nein, das erschiene mir zu garstig. Denn gleich beim ersten Hören war ich nicht nur von lindem Entsetzen, sondern auch von menschlicher Rührung ergriffen. Und die Rührung steigerte sich noch, als ich sogleich im Internet nach Harvey Sid Fisher zu suchen begann und zweierlei herausfand:
Erstens, dass er die Aufnahmen seiner ASTROLOGY SONGS in den Jahren 1986/87 in Eigenregie mit dem Honorar finanziert hatte, das er für einen „Top-Model“-Auftritt in einem Werbesport für ein Fahrzeug des Fabrikats Lincoln erhalten hatte. Das Projekt musste also aus einer gewissen persönlichen Leidenschaft gespeist sein.
Sowie, zweitens, dass er auch eine Serie von 12 Videoclips zu den Songs hatte produzieren lassen: Harvey Sid Fisher in Frank-Sinatra-artiger Aufmachung und Pose, begleitet von zwei Tänzerinnen, einer brünetten, einer blonden. Die Damen interpretieren die von Fisher getexteten Sternzeichen-Charakterisierungen mit vielsagenden Bewegungen und Mimiken, sehr, sehr frei nach dem Prinzip des modernen Ausdruckstanzes.
Hier, zum Beispiel, die musikalisch-tänzerische Interpretation von Aries, dem Widder mit der brünetten Tänzerin im Einsatz. Da der Widder als stürmisches Feuerzeichen gilt, handelt es sich, logisch, um einen eher flotten Song:
Und hier ein Beispiel für die Vertonung und Vertanzung eines der angeblich besonders gefühlvollen Wasserzeichen, ein vergleichsweise softer Song also: der Clip zum Cancer-, Crab– oder Krebs-Zeichen, das Harvey Sid Fisher zärtlich Moonchild nennt und das von der blonden Tänzerin körperlich wie folgt, äh, nachempfunden wird:
Ich denke, es ist uns allen sehr recht, wenn ich die übrigen 10 Zeichen-Songs hier nicht auch noch alle abspiele. (Falls Sie sich für das Lied zu Ihrem höchstpersönlichen Zeichen interessieren: Bei Youtube werden Sie fündig, einfach „Harvey Sid Fisher Astrology Songs“ eingeben.)
Die Wahrheit ist also: Ich habe mir besagte Platte nicht erst jetzt, während meiner Recherchen zum Roman STARS besorgt – aber während der Roman-Arbeit fiel mir dieses Kleinod wieder ein. Und nachdem die Scheibe jahrelang in einer hinteren Plattenreihe stand, prangt sie nun wieder ganz vorne in meinem Regal, als ein Prachtstück meiner Sammlung.
Herr Fisher hält sein Geburtsjahr geheim, so weit ich das überblicke, gibt sich aber immer wieder als Schütze (Sagittarius) zu erkennen, unterhält eine eigene kleine Homepage sowie eine aktive Facebook-Seite und hat auch Songs über den Golfsport, das Geschlechtergerangel, das Nichtraucherwesen und anderes komponiert. Man findet durchaus mehreres im Netz, wenn man ein Weilchen nach ihm sucht – leider aber nicht seine Coverversion des B-52s-Songs 52 GIRLS (angeblich hat er jenes Lied mal mit einer Band aus Chicago eingespielt).
Auf dem Standbild zu seinem Song SIDELINE (hier unten) sieht er tatsächlich aus wie ein männliches Best-Ager-Model, nicht wahr? Sozusagen: wie ein richtiger Star! Im Songtext heißt es u.a.:
I‘ve got dreams that I can float through / Other worlds that I can go to / I‘m not stuck in reality / What you see really is not me
Ein nicht unsympathischer Träumer – so kommt der Mann mir vor. Ein relativ sanfter und ziemlich verspielter Freak. Durchaus bisschen parallelweltartig unterwegs. Aber auch nicht ganz und gar abseits, sondern mit einem kleinen Fußzeh noch in der Spur. Ich meine: Dieser Mann weiß, wie es sein könnte, ein wirklicher Star zu sein – stellt es sich zumindest engagiert vor – und tut einfach ein bisschen so, als wäre er längst einer. Das finde ich, alles in allem, schon ganz schön toll.
In den STARS hat Harvey Sid Fisher keinen Auftritt, und die Romanheldin, Carla Mittmann, kennt auch seine Lieder nicht.
Doch im Laufe der Geschichte begegnet sie so einigen Menschen, deren Sternzeichen-Faszination der von Harvey Sid Fisher, dem SINATRA DES ZODIAK2, in nichts nachsteht.
Noch drei Wochen – dann kommt’s raus. Yeah!
Immer die Ihre: KK
- Das Label Amarillo Records hat an und für sich schon eine ziemlich interessante Geschichte: Es hielt sich nur von 1992 bis 2001, operierte von San Francisco aus, war spezialisiert auf „experimental rock“ und „comedy records“ und: auf Song-Veröffentlichungen aus dem Umfeld der Church of Satan, huh! ↩︎
- Diese Bezeichnung, SINATRA DES ZODIAK, habe ich mir gerade ausgedacht und stelle mir vor, dass sie Harvey Sid Fisher ganz gut gefallen könnte. ↩︎