A-Z Journalistinnen: „Des denkenden Mannes Objekt der Begierde“

Erschienen in der Rubrik A-Z des Freitag im März 2016

Sie streiten für die Freiheit, lästern übers Establishment, decken Korruption auf, folgen ihrem eigenen Geschmack. Ein Kolleginnenlexikon zum 8. März

A

DIE AUFSTEIGERIN Sie wuchs im Londoner East End auf, sprach mit Cockney-Akzent, verkaufte Zahnbürsten und hatte große Ambitionen. „Ein Star werden, das war etwas, woran man sich klammern konnte“, heißt es in den Furchtlosen Memoiren der Sheilah Graham (Eichborn, 2010). Mit proletarischem Eifer und vielen Schummeleien schaffte Sheilah Graham es vom Armenviertel nach Hollywood – als Pionierin des „People-Journalismus“. Niemand plauderte in den 30ern und 40ern so indiskret und unterhaltsam über Stars, wie es in der Kolumne Sheilah Graham sagt zu lesen war. Sie freundete sich mit Dorothy Parker (➝ Die Lästerschwester) an und lernte den Schriftsteller F. Scott Fitzgerald kennen und lieben. Der Journalismus öffnete dem Cockney-Girl die Welt. Es gelang ihr mit falschem Namen und erfundener Herkunft, in Felix-Krull-Manier. Grahams Lebensgeschichte ist die beste Story, die sie je schrieb.

C

DIE COOLE(N) Als ich überlegte, welche Journalistinnen mich einst inspirierten oder mich heute, in Echtzeit, beeindrucken, fiel mir sofort Anja Reschke ein. Und nur eine Tausendstelsekunde später: Dunja Hayali. Beide sind Fernsehfrauen, beider Job ist das Nachrichtengeschäft. Die eine, blond und autochthon deutsch, moderiert das ARD-Magazin Panorama, die andere, dunkelhaarig und Nachfahrin einer Irakerin und eines Syrers, wurde im ZDF mit heute bekannt.Anja Reschke und Dunja Hayali halten ihre Gesichter hin, sie sind zu medialen Personifizierungen des Flüchtlingsthemas geworden. Und beide ernten kübelweise Hass dafür. Auch weil sie deutlich Position beziehen: No room for haters! Seit Monaten wird der „Lügenpresse“-Dreck über sie ausgegossen, bis hin zu Morddrohungen. Für die klaren Worte, den Mut und die Coolness, mit denen die Kolleginnen die Angriffe parieren, einfach nur: den allergrößten Respekt.

D

DIE DANDY Welches Blatt widmet schwer einzuordnenden Frauen schon mal eine ganze Seite? Der Freitag! Auch ich kannte die Feuilletonistin Ruth Landshoff-Yorck (1904–1966, siehe Foto) nicht, bevor Maike Wetzel in der Ausgabe 41/2015 über sie berichtete, Titel: Eine echte Dandy. Sofort hing ich am Haken. Denn der Dandyismus war Frauen lange nicht vergönnt.Zum Wesenskern des Dandyismus zählt das gezielte Posieren, die aggressiv ausgestellte Eigenwilligkeit. Vor 15 Jahren ließen sich die „Literatur-Dandys“ Benjamin von Stuckrad-Barre und Christian Kracht als Fashion-Gockel für ein Kaufhaus fotografieren, es wurde als Subversion gewertet. Heute erproben – völlig zu Recht – vermehrt auch Frauen solche aufmerksamkeitsökonomischen Konzepte. Eifrig inszeniert sich gerade Ronja von Rönne, mit Fotos von sich im Bett, am Strand, mit Sportwagen. Erst ein „It-Girl“, das „berühmt fürs Berühmtsein“ war. Dann eine Mode- und Motorenjournalistin. Schließlich eine Exilautorin gegen die Nazis: Ruth Landshoff-Yorck bot mit ihrer unberechenbaren Peformance mehr als Marketing-Bling-Bling. Ihr Auftritt war zu ihrer Zeit ernsthaft revolutionär.

E

DIE ERFUNDENE Sie raucht viel. Wenn man sie in der Redaktion nicht in Ruhe arbeiten lässt, schimpft sie wie ein Bezirksligatrainer. Auf dämliche Anmachen gibt sie so eloquent Kontra, dass den Jungs meist der Mund offen steht. Die Reporterin Hildy Johnson ist die Heldin in der Screwball-Komödie „Sein Mädchen für besondere Fälle“ von 1940. Im Original heißt der Film – aufgepasst: „His Girl Friday“. Bei Youtube ist er zu sehen, mit Rosalind Russell und Cary Grant in den Hauptrollen. Ein Freund mailte mir den Link: „Das musst du sehen, sie arbeitet bei einer Zeitung, die Freitag heißt!“ Tatsächlich heißt das Blatt im Film leider Morning Post. Ansonsten könnte die schnelle Hildy aber wirklich eine Kollegin sein.

L

DIE LÄSTERSCHWESTER Wenn der Wortwitz hakt und der Sarkasmus klemmt, lohnt ein Blick in ihre New Yorker Geschichten (Kein & Aber, 2003): „Das Erste, was ich morgens tue, ist meine Zähne putzen und meine Zunge schärfen“, lautet ein Zitat von Dorothy Parker (1893–1967). Niemand sezierte die Eitelkeiten im Medien- und Kulturbetrieb so klarsichtig (und biestig!) wie sie. Die gängigen Geschlechterrollen gingen ihr auf die Nerven, genau wie die Ausgrenzung von Minderheiten. Parker zählte zum Ur-Team des Magazins The New Yorker. Ihre Texte waren im Establishment gefürchtet und wurden genau dort, ha!, stets mit Spannung erwartet. So muss es doch, bitte schön, laufen.

N

DIE NONCHALANTE 70 Seiten Werbung, Armani, Gucci, Pipapo, erst dann beginnt das Inhaltsverzeichnis! Dennoch schaue ich ab und an in das britische Magazin Gentlewoman. Jenseits des Konsumklumpatschs finden sich dort stets Gespräche mit interessanten Frauen, Architektinnen und Öko-Aktivistinnen, Künstlerinnen, Waffeninspekteurinnen und Salonastrologinnen. Die „Gentlewoman“-Chefin Penny Martin verzichtet auf Kochrezepte, Dekotipps und anderen liebreizenden Müll aus der häuslichen Sphäre. Stattdessen kommen Frauen „mit Stil und Absicht“ in ihr Blatt. Auf dem Cover sind nie retouschierte Glücksgirlies zu sehen, dafür gereifte Exzentrikerinnen wie Björk oder Vivienne Westwood.Ja, es ist ein Upper-Class-Magazin, eng am Sheryl-Sandberg-Feminismus getaktet. Aber es kann ja nicht schaden, die Klassenfeindin zu studieren. Auch um zu überprüfen: Gäbe es nicht doch noch Ansätze für mehr Solidarität unter Frauen?

P

DIE PANZERFAUST Wie schade, dass dieser Name heute (wieder) so viel Augenrollen und Zorn provoziert. Die Sache ist klar: Ohne Alice Schwarzer ginge so gut wie gar nichts. Mit der Kampagne gegen den § 218, mit dem Buch Der kleine Unterschied und der Emma sorgte sie in den 70ern dafür, dass endlich über den Feminismus gesprochen wurde. Sie nahm gar an Rateshows teil, um die Sache der Frauen in deutsche Wohnzimmer zu tragen.Auch Schwarzer hielt stets ihr Gesicht hin (➝ Die Coole(n)). Leider später auch für die Bild-Zeitung. Das irritierte viele. So wie ihre Steueraffäre. Ihre Haltung zur Prostitution. Und zuletzt ihre rabiaten islamkritischen Äußerungen. Viele jüngere Feministinnen sehen die Dinge etwas anders. Schwarzer war jedoch die Türöffnerin. Eine kämpferische Publizistin, eine störrische Intellektuelle, die sich auch mal irrt und übergrob benimmt. Frauen sind eben nicht „von Natur aus“ das friedvollere Geschlecht: Das lehrt uns Alice Schwarzer mit ihrem ganzen Werk und Wesen.

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DIE RENITENTE Diesseits der deutsch-polnischen Grenze geifern Rechte gegen die „Lügenpresse“ (➝ Die Coole(n)). Jenseits der Grenze sind ihre Gesinnungsgenossen schon weiter: Die regierende PiS-Partei hat die Rundfunk- und TV-Anstalten zu nationalen Kulturinstituten erklärt, weshalb sie jetzt unter Regierungskontrolle stehen. Es ist ein harscher Angriff auf die Meinungsfreiheit, und die Radiojournalistin Ewa Wanat ist diejenige, die am mutigsten dagegen kämpft, im „Komitee zur Verteidigung der Demokratie“. Ihren Posten als Chefredakteurin verlor sie, nun streitet sie vor Gericht gegen den Rauswurf. Unter facebook.com/ewa.wanat2 kann man ihr folgen, notfalls eben mit dem Google-Translator.

S

DIE SUBJEKTIVE 1980 hat sie das Magazin Spex mitbegründet. Gleich zu Beginn war dort ein Text über Northern Soul zu lesen, eine raue Motown-Variante, eine Working-Class-Musik, die bis dahin kaum jemand kannte. So funktioniert (linke) Pop-Theorie: Da traut eine ihrer eigenen Wahrnehmung, nimmt Stil und Politik, Geschmack und Geschlecht, Rhythmus und Klassenfragen aufs Feinste auseinander und schreibt es mit subjektiver (➝ Die Dandy) Scharfsinnigkeit auf. Drechsler war mit die erste Frau auf dem Acker des Pop-Diskurses. Der ist bis heute männlich dominiert. Auch deshalb ist der Name „Clara Drechsler“ ein Codewort unter progressiven Kulturjournalistinnen: Sie ist die große Schwester im Geiste.

T

DIE TODESMUTIGE Ein Treppenhaus in Moskau, es fallen Schüsse. Vier Kugeln treffen die Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Anna Politkowskaja in die Brust, eine schlägt in ihren Schädel ein. Es ist der 7. Oktober 2006, der 54. Geburtstag von Wladimir Putin. Acht Jahre dauert es, bis der Todesschütze, ein Tschetschene, und drei seiner Komplizen sowie ein Ex-Polizeioffizier zu Haftstrafen verurteilt werden. Die Hintergründe des Mordes blieben indes unklar. Sie schrieb über den „schmutzigen Krieg“ in Tschetschenien und über Korruption. Schon 2001 erhielt sie erste Morddrohungen. Ihre frühere Zeitung, die kremlkritische Nowaja Gaseta, recherchiert bis heute, wer dann den Befehl zur Hinrichtung gab. „In viel zu vielen Ländern riskieren Journalisten ihr Leben, wenn sie über brisante Themen recherchieren oder die Mächtigen kritisieren“, heißt es von der Organisation Reporter ohne Grenzen. 2015 haben das weltweit wieder 110 Menschen nicht überlebt.

U

DIE ÜBERBLICKERIN Erstmals sah ich sie wohl im Presseclub der ARD, in den 90ern. Ich erinnere mich an ihre professionelle, nie gestelzte Souveränität – bei hoher geistiger Entflammbarkeit. An leidenschaftliche Analyse, gepaart mit der Kunst, andere ausreden zu lassen. Tissy Bruns wirkte in Politrunden nicht nur glaubwürdig, sie war inhaltlich auch oft die Radikalste – auf so vernünftige Art radikal, dass man ihr einfach Recht geben musste. Erst bei ihrem viel zu frühen Krebstod 2013 erfuhr ich von ihren stramm linken Wurzeln, dass sie als Studentin eine Marxistin war, zur DKP ging und für die Deutsche Volkszeitung, einen Freitag-Vorläufer, geschrieben hatte. Später berichtete sie aus Bonn und Berlin, vor allem für den Tagesspiegel. 1999 bis 2003 leitete sie als erste Frau die Bundespressekonferenz. In ihrem Ressort, der Politik, war sie eine Große. In den Talkrunden könnten wir sie heute gut gebrauchen.

Z

DIE ZOTIGE Dieses A–Z begann in London (➝ Die Aufsteigerin) und endet auch dort. Es ist eben eine persönliche (➝ Die Subjektive) Auswahl. In der Fleet Street, der großen Londoner Zeitungsstraße, servierte ich mit Anfang 20 Medienmännern ihre Pausenkaffees, für einen Stundenlohn von 2,50 Pfund. Als Trinkgeld gab’s schmierige Sprüche. Joan Bakewell hat sich bei den Anzugträgern behauptet: Als BBC-Frau wurde sie zu „des denkenden Mannes Objekt der Begierde“. Diesen (von ihr gehassten) Titel bekam sie, weil sie offen über Sex sprach, mit „ungehörigen“ four-letter words. Sie tat das auch, um auf Sexismus hinzuweisen. Heute ist sie bei der Labour-Partei, schreibt für den Independent und ist für ihre intellektuellen Leistungen in den Adelsstand erhoben: Sie sitzt jetzt als Baroness im House of Lords. Well done, girl!