ALLES GUTE, MACKER!

Erschienen im Juli 2014 im Freitag

Am 16. Juli 2014 wäre Jörg Fauser 70 geworden. Die einen feiern ihn als Rebell, andere werfen ihm „Männerliteratur“ vor. Der zarte Zweifel in seinen Texten wird gern überlesen

Man nennt es Jubiläumsjournalismus, wenn sich der Geburts- oder Todestag eines berühmten Kulturmenschen jährt und die Feuilletons voll sind mit Erinnerungstexten und Würdigungen. Oder Verklärungen. „Heute wäre XY 100 Jahre alt geworden, der wichtigste, umstrittenste …“: Solche Texte sind nicht uninteressant, denn sie erzählen oft mehr über diejenigen, die sie schreiben, als über den bekannten Toten. Wer warum in welchem Umfang als erinnerungswürdig gilt, entscheidet nicht die Vergangenheit, sondern die Jetztzeit.

Kommende Woche, am 16. Juli, wäre der Schriftsteller Jörg Fauser 70 Jahre alt geworden. Wäre er nicht im Sommer 1987, in der Nacht nach seinem 43. Geburtstag, von einem Lkw überfahren worden, und zwar als er, im Suff, bei München auf der Autobahn spazieren ging. Es ist anzunehmen, dass die Feuilletons zu seinem Siebzigsten nun wieder einigen Platz freiräumen, so wie es auch der Freitag hier tut. Vor zehn Jahren, als Fausers Sechzigster anstand, waren die Blätter jedenfalls voll mit Hommagen an den Mann. Und was da geschrieben wurde, war in zweierlei Hinsicht aufschlussreich. Erstens hatte der Schriftsteller – während er noch lebte – in den dicken, edlen Zeitungen so etwas wie Hausverbot. Kritiker wie Marcel Reich-Ranicki kanzelten Fausers Werk als Unterhaltungsliteratur ab.

Lederjackenkitsch

Zweitens waren die Arien zu Fausers 60. fast ausschließlich von Männern verfasst, was noch keine Sensation ist, es entspricht dem Geschlechterproporz im Kulturjournalismus – aber jene Arien waren auf eine erstaunlich zänkische, rechthaberische, geradezu rührend besitzergreifende Art formuliert. Die Nachrufschreiber verhandelten noch etwas anderes als nur Werk und Leben eines Autors. Sie benutzten das Fauser-Jubiläum, um darüber zu streiten, was eine „richtige“ oder „glaubwürdige“ Literatur sein könnte. Und in der Debatte dröhnte auch etwas mit, das sich als Männlichkeitskrise der deutschen Gegenwartsliteratur umreißen lässt.

Da war etwa Benjamin von Stuckrad-Barre, von dem man nun schon lange nichts Nennenswertes mehr gelesen hat – leider –, weil er sich in der Sparte Kalauer-TV verlaufen hat. 2004, als sein Name heiß war, schnappte er sich den Fauser und klebte ihn sich sozusagen auf die Brust. Er schrieb das Nachwort zur Neuauflage von Fausers Junkie-Roman Rohstoff, ging mit Fauser-Texten auf Lesetour und stellte in Interviews seine Kokainsucht aus. Zwei Jahre später nahm sich Stuckrad-Barre gemeinsam mit Moritz von Uslar, der ebenfalls ein Böse-Buben-Image pflegt – Boxen, mit Hartz-IV-Empfängern abhängen – den nächsten Lederjackenträger vor: Udo Lindenberg. Am Trallafiti-Tresen hieß das Buch, das sie Lindenberg 2006 widmeten.

Gegen eine solche Vereinnahmung der Figur Fauser polterten andere Kulturmänner an: In der Süddeutschen Zeitung empfahl Willi Winkler, man solle besser Wilhelm Genazino lesen als den von jungen „Pop-Literaten“ gefeierten Fauser. Jörg Sundermeier, Gründer des Verbrecher-Verlags, bezeichnete Stuckrad-Barre als „Prototyp jenes billig-feinen Literaten, gegen dessen Schreiben sich Fauser stets verwahrt hatte“.

Als einzige Frau äußerte sich damals die Musikerin und Autorin Christiane Rösinger (Lassie Singers, Britta), zum Phänomen Fauser: Dessen „Männerromane“ würden fast ausschließlich von Männern gelesen, weil er „männliche Instinkte pries, weil er seine Leser seine Bad-Boy-Radikalität miterleben ließ, sie am Mut zum Risiko, den sie bei sich selbst vermissten, teilhaben ließ“.

Kastrierte Esel

Ja, die Sehnsucht der Rezensentenzunft nach Rohheit, Wildheit, Blut, Schweiß, Tränen: Im Feuilletonistenjargon wird da gern Welthaltigkeit eingefordert – während faktisch oft auch einfach sehr schlichte, sehr berechenbare Männlichkeitsposen belohnt werden. In den frühen 80ern hatte Jörg Fauser Songtexte für den Deutschrocker Achim Reichel geschrieben, darunter ein Stück über einen Boxer Kutte. Wenn heute die Bücher des Leipziger Autors Clemens Meyer rezensiert werden, drehen sich viele Besprechungen zuallererst um Meyers Nähe zum Kampfsportmilieu. Ein cleverer Autor spielt so ein Pfund voll aus. Warum nicht? Ein cleverer Autor, gleich welchen Geschlechts, will ja vom Schreiben leben, oder, wie Fauser es sagte: „Ich bin Geschäftsmann, writing is my business.“ Der böse Bube ist sozusagen das Pin-up des heutigen Literaturbetriebs, ein ziemlich risikoloser Entwurf, die männliche Variante des Marketingmodells Fräuleinwunder oder Schöne Debütantin.

Jörg Fauser, der schmächtige Hesse mit der hitzigen Abneigung gegen Trendphänomene, hat in diesem Zusammenhang ein posthumes Problem: Er wird heute ganz überwiegend als Macker rezipiert – beziehungsweise missverstanden. Macker ist ein altmodisches Wort. Seine Blütezeit hatte es in den 70ern und 80ern. Erstmals hatten Männer es verstärkt mit Frauen zu tun, die sich als emanzipiert begriffen. Daraus ergaben sich in der Jörg-Fauser-Generation etliche bis dahin unbekannte Paarungsschwierigkeiten.

Der Macker saß dabei gewissermaßen zwischen den Stühlen. Er ist kein Macho, sondern ein viel unsichereres Exemplar. Einer, der auf der Suche nach einer postpatriarchalischen Pose ist. Ein Lederjackenträger, der sich die Lederjacke selbst nicht ganz glaubt. Etymologisch, vom Wortstamm her, wurzelt der Macker im Niederdeutschen: Er bezeichnet da einen Kameraden oder Kollegen. Und es gibt noch einen anderen Gebrauch des Worts Macker: In der Viehwirtschaft werden kastrierte Esel so genannt.

Wer Fauser wirklich gelesen hat, auch seine journalistischen Arbeiten, der versteht, dass er das Mackertum sehr anstrengend fand, albern, verlogen, dämlich, flach. Er war als Zeitgenosse der Macker-Ära darin verwickelt – aber er sezierte es auch und distanzierte sich damit davon.

Penisse gegen die Gruppe 47

Zwei Beispiele, von Hunderten: 1969, Fauser war 25, erschien hierzulande eine Anthologie mit dem Titel Supergarde, Unterzeile: „Prosa der Beat- und Pop-Generation“. Darin vertreten waren ausschließlich Männer, eh klar, von Rolf Dieter Brinkmann bis Wolf Wondratschek. Im Vorwort steht: „Hier ist ein Buch, dessen Autoren die Bezeichnung SUPER beanspruchen. Super ist die nächste Stufe nach NORMAL (…) SUPER-Brennstoff (…) verursacht durch rasche Verbrennung eine kräftigere Explosion als normaler, hilft müde gewordenen Motoren-Pferden mit maximaler Stärke zu galoppieren.“ Und weiter: „Chotjewitz wollte eigentlich eine Fick-Geschichte schreiben (…) Dann war da noch der gute Fröhlich, der die Gelegenheit wahrgenommen hat, um einen Ich-und-meine-Potenz-Kalender zu montieren (…) während Wondratschek auf dem Rücken liegt und sich mit seinen Genitalien beschäftigt.“ Ein klares Penis-Programm wird hier als neue Literatur angekündigt, als Gegenentwurf zur oft moralinsauren Rede der Gruppe 47.

Ob Jörg Fauser die Supergarde-Ergüsse damals gelesen hat? Unwahrscheinlich ist es nicht. Fast schon obsessiv stalkte er in jener Zeit den US-Obermackern Charles Bukowski und William S. Burroughs nach. Was er dann aber im Jahr 1979, in seiner Erzählung Alles wird gut schreibt, liest sich wie eine verzögerte Antwort auf das Genitaliengepose: „Der Zwang, der Ausdruckszwang, der Körperzwang, Süße, der Berührungszwang, Darling, der Machtausübungszwang, Herzl, Herz, Hirn, Titten, Nabel, Muttermal, Haar, Nasenflügel, Grübchenkinn, Ohrbauscherl, Rippenflaum, Jochbeinzittern, Anus, Schwanz, Schwellfleisch, Mösenmilch, das sind doch alles nur Chiffren, die für etwas ganz anderes stehen, und das ist die Lebensangst, und deshalb die Pumpe voll Power, die Macht.“

„Wollen Sie etwas sagen?“ – „Nein.“

Ein zweites Beispiel für das platte Macker-Missverständnis kann man bei Youtube verfolgen: Fauser tritt 1984 beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt an. Er trägt einen Text vor, in dem es um ein Liebespaar im Urlaub in Zypern geht, es kriselt. Die Frau wünscht sich „Sonne und Meer“, Frieden. „Sie machte es ihm einfach“. Über den Mann liest Fauser vor: „Und dann hatte er sie traktiert mit all dem Unfug, mit dem Männer sich die Zeit vertreiben, sobald sie über den Tischrand sehen, Grabkammern, türkische Forts, Bürgerkriege.“

Als er mit seinem Vortrag fertig ist, tun die Herren Kritiker in der Runde – Reich-Ranicki, Walter Jens, Peter Härtling – genau das, was Fauser ihnen vorlas: Sie dreschen mit „Grabkammern“ und „Bürgerkriegen“ auf ihn ein. Sein Text sei klischeehaft, dünn – keinesfalls „Kunst“. Besonders breit baut sich Peter Härtling auf: „Wie hier Menschen geschildert werden, grenzt an Denunziation. Das hat mich getroffen.“ Nachdem die Herren sich entladen haben, kommt auch die Schweizerin Klara Obermüller noch zu Wort, als einziger weiblicher Kritikerin gönnt man ihr noch zwölf Sekunden. Sie frage sich „als Frau“, was für „eine Moral“ da vermittelt werden solle. Peter Härtling lacht breitzähnig. „Herr Fauser, wollen Sie etwas sagen?“, fragt der Moderator.

„Nein“, sagt Fauser.

Ein Jahr darauf heiratet er seine große Liebe, Gabriele, alleinerziehende Mutter von zwei Kindern. Das scheint den Macker nicht zu stören. Auch sie stirbt früh, im Jahr 2008, mit 59 Jahren. Fauser-Biograf Ambros Waibel schrieb über diese Liebe: „Gabriele Fauser war ein tougher Typ, ein Mensch, der gern lebte und ein gutes Lachen hatte – und last, not least eine attraktive Frau. Es war nicht schwer zu verstehen, dass sie und Jörg Fauser ein Paar geworden waren.“ Man muss ihm halt nur richtig zuhören. Muss ein bisschen tough sein und ein gutes Lachen haben. Dann gibt’s weniger Missverständnisse. Weniger Projektionen, weniger Vorwürfe. Dann klappt’s mit der Liebe.