Erschienen im September 2014 im Freitag.
Über gestylte Männer im Kongo und Ernst Mohrs „Ökonomie mit Geschmack“
Kinshasa ist die Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo. Sie zählt gut 10,3 Millionen Einwohner. Wie über die meisten afrikanischen Städte – von ländlichen Gegenden ganz zu schweigen – wusste ich über Kinshasa wenig bis nichts. Dass das westafrikanische Land als Kolonie ausgebeutet wurde, von Portugal, Belgien und Frankreich, war mir bewusst. Dass es eine sozialistische Phase als Volksrepublik Kongo hatte, war ebenfalls grob bei mir gespeichert. Und schließlich hatte ich die Nachrichten aus den 90er Jahren, als Bürgerkriege das Land erschütterten, noch im Kopf.
Dementsprechend sahen die Bilder aus, die mein Gehirn produzierte, wenn der Name „Kongo“ mal irgendwo fiel. Ich sah arme, versehrte, geduckte Menschen. Ich sah Staub, viel Staub. Als Farbtupfer höchstens ein Hügelchen Plastikmüll hie und da; alte Benzinkanister vielleicht, aus denen die Kongolesen sich Sitzgelegenheiten bastelten. Es ist wohl die typische Vorstellungswelt einer weißen Bewohnerin der Nordhalbkugel: Mitleid als Standardreflex, sobald von Afrika die Rede ist.
Dann entdeckte ich die Sapeurs. Erst las ich nur über sie; dann suchte ich im Internet nach ihnen. Und nicht nur mein Kongobild, sondern auch mein Blick auf den Konsum, speziell auf die Mode, hat sich damit ganz schön verändert. „Sapeur“ ist ein französisches Wort, es bedeutet so viel wie Pionier. Und Kinshasas Straßen sind voll von Sapeurs, wie ich jetzt weiß – voll von extrem gut gekleideten, manchmal fast absurd überdekorierten Männern. Sie sehen, jeder auf seine Art, fantastisch aus. Sie tragen pastellfarbene Anzüge mit Einstecktüchern, die farblich auf das jeweilige Oberhemd abgestimmt sind; manche sind auch in Knallfarben, exaltiertes Karo oder Nadelstreifenmuster gewandet. Die meisten schmücken sich darüber hinaus mit Hüten, Fliegen, Gehstöcken.
Ein kongolesischer Sapeur ist in etwa das, was man in Europa einen Dandy nennt: ein an Mode beziehungsweise Stilfragen extrem interessierter Mann, einer, der wie ein Gockel oder Pfau durch die Straßen spaziert. Eine ganze Galerie von Sapeur-Porträts ist etwa auf der Webseite des italienischen Fotografen Francesco Giusti zu betrachten, er nennt die Serie „Sapologie“.
Staub und Müll: Auch diese „typisch kongolesischen“ Realitäten sind da zu sehen. Die Sapeurs nutzen die Kargheit als Kulisse, in der sie sich umso leuchtender inszenieren, eigensinnig und stolz, stil- und ironiebegabt. Mit ihrem Auftritt als überhebliche, eitle Fatzkes parodieren sie auch ganz wunderbar die europäischen Kolonialherren.
Ausgerechnet in einem Buch zum nicht sehr bunten Thema Volkswirtschaftslehre stieß ich auf die Exzentriker aus dem Kongo. „Der Dresscode der Sapeurs sieht vor, dass Kleidungsstücke mit den Labels bekannter italienischer Männermodemarken versehen sein müssen“, schreibt Ernst Mohr, VWL Professor aus St. Gallen, in Ökonomie mit Geschmack. Die postmoderne Macht des Konsums (Murmann Verlag 2014, 536 S., 39,99 €).
Mohr hat den Kapitalismus ziemlich gern, scheint mir. Dennoch ist sein Buch hochinteressant. Eine seiner Kernthesen: Der Verbraucher ist nie nur Konsument, sondern immer auch Ko-Produzent. Unser Geschmack ist viel mehr als nur ein Zeichen, das unsere Klassenherkunft verrät, wie der geschätzte Soziologe Pierre Bourdieu es lehrte. Nein, sagt Mohr, der Geschmack ist heute Sprache, Waffe, Werkzeug und Produktionsmittel – aus dem wieder ganz neue Waren, Glaubens- und Realitätswolken entstehen. Geschmack schafft realen Mehrwert, sagt Mohr. Klingt höllisch abstrakt? Ja. Darum habe ich hier lieber von den Sapeurs erzählt. Das soll aber nicht gegen die Lektüre des Buchs sprechen.