Rakete mit Mittelscheitel

Erschienen im Magazin FÜR SIE, 2008

HEDY LAMARR, Schauspielerin, Ladendiebin, Nazi-Gegnerin, multiple Ehe-Gattin – und Erfinderin der funkgesteuerten Torpedo-Rakete

Haben Sie heute schon ihr Handy benutzt? Wenn ja, hatten Sie es mit Hollywood-Legende Hedy Lamarr zu tun. Sie war nicht nur die erste Nackte auf der Leinwand, galt als „schönste Frau des 20. Jahrhunderts“, stand als Ladendiebin vor Gericht, war Nazi-Gegnerin, sechsfache Ehefrau, dreifache Mutter – sie hat, ganz nebenbei, auch eine der Grundlagen der heutigen Mobilfunktechnik erfunden. Mit ihrem vielschichtigen Lebenslauf ist sie eine Pionierin dessen, was wir heute „Multitasking“ oder „Bastel-Biografie“ nennen.

„Ich liebe Neuanfänge“, soll die Schöne mit sentimental verhangenen Blick einmal gesagt haben. Als Hedwig Maria Kiesler war sie 1914 in Wien geboren worden. Ihre Karriere begann mit einem Skandal: Mit gerade einmal 19 Jahren ging sie in dem Streifen „Ekstase“ nackt in einem See baden. Eine andere Szene zeigt ihr Gesicht in Großaufnahme, lustvoll verzerrt. Es war der erste auf Celluloid gebannte weibliche Orgasmus.

Noch im selben Jahr heiratete sie den 14 Jahre älteren Salzburger Waffenhändler Fritz Mandl, der von Eifersucht derart zerfressen war, dass er ihr umgehend nicht nur die Schauspielerei, sondern auch das Schwimmen verbat. Er behängte die junge Hedwig mit Juwelen und stellte ein Dienstmädchen ein, dessen einzige Aufgabe es war, die schöne junge Ehefrau zu bewachen. Ganze vier Jahre hielt sie diesen Psychoterror aus. Dann betäubte sie, ganz wie in einem Kino-Melodram, das Dienstmädchen mit Schlaftabletten und floh, zwei Jahre vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, in einer Nacht- und Nebelaktion über Paris und London in die USA.

Die Studiobosse von MGM waren auf Anhieb begeistert von der rätselhaft schönen Europäerin, ihrem unterkühlten Auftreten, ihrem distanzierten Stil, gaben ihr einen Star-Vertrag und verpassten ihr einen international tauglichen Namen: „Hedy Lamarr“, angelehnt an den Mythos der jung verstorbenen Stummfilmschönheit Barbara La Marr. In ihrem ersten US-Film „Algiers“ trug sie einen strengen Mittelscheitel, den zahlreiche Actricen später kopierten, darunter Vivien Leigh und Joan Crawford. Heute noch am bekanntesten ist ihr Historienschinken „Samson und Delilah“ (1949), in dem Hedy, äußerlich inzwischen an den gängigen Leinwand-Standard angepasst, mit überkandideltem Make-up durch knatschbunte Pappmaché-Kulissen stakst.

Hollywood als Alptraum-Fabrik

Da war Hollywood schon zur Alptraum-Fabrik für sie geworden. Einst beim Theater-Genie Max Reinhardt in die Lehre gegangen, litt sie unter der Oberflächlichkeit des Star-Systems. Die Geburt ihres ersten Sohnes 1939 hielt sie zunächst geheim, so verunsichert war sie von den geifernden Blicken der Boulevard-Presse. „Jedes Mädchen kann glamourös sein. Du musst nur still stehen und dumm dreinschauen“, sagte sie Jahre später. Zu viele kritische Fragen, zu viel Eigensinn zerrütteten schnell das Verhältnis zum Betrieb. Und nicht immer traf sie die richtigen Entscheidungen. So lehnte sie die weibliche Hauptrolle in „Casablanca“ ab, die Ingrid Bergmann später unsterblich machen sollte.

Statt auf Film-Parties in Kameras zu lächeln, interessierte sie sich für Weltpolitik. Mitten in den Kriegsjahren, als die Nazis schon halb Europa überrollt hatten, diskutierte sie mit dem Komponisten Josef Antheil, wie dem Terror ein Ende zu bereiten sei.

Mit Hedys militärischem Wissen aus ihrer ersten Ehe tüftelten die beiden eine Fernsteuerung für Torpedo-Raketen aus, das so genannte Frequency Hopping. Das Steuerungssignal für die Raketen wurde dabei auf mehrere Funkfrequenzen verteilt und war somit weniger anfällig für Störungen durch den Feind. 1942 meldete das Duo ein Patent an, und die US-Armee setzte die Technik zwanzig Jahre später während der Kuba-Krise erstmals ein. Erst 1997, als längst auch Mobiltelefone auf Hedys Frequenz funkten, erhielt sie einen Ingenieurs-Preis für ihre Leistung, den Pioneer Award der Electric Frontier Foundation. „Ich war meiner Zeit eben stets voraus“, kommentierte die damals 83-Jährige die späte Auszeichnung lakonisch.

Fünf weitere Ehemänner hatte sie unterdessen gesammelt und wieder verstoßen, darunter der Schweizer Musiker Teddy Stauffer, der einen Nachtclub im mexikanischen Acapulco betrieb, und der texanische Ölmilliardär Howard Lee. Auch zwei weitere Kinder hatte sie bekommen und über die Jahre geschätzte 30 Millionen Dollar verdient. Doch bereits mit Anfang 50 hatte sie das gesamte Geld verjubelt. Eine eigens gegründete Filmproduktionsfirma war rasch pleite gegangen. 1966 erwischte man sie in einem Kaufhaus in Los Angeles mit Kleidung und Kosmetika im Wert von 86 Dollar, die sie augenscheinlich stehlen wollte.

Kurz vor ihrem Tod gelangte sie noch einmal in die Schlagzeilen, als sie den Software-Hersteller Corel auf 250.000 $ Schadenersatz verklagte. Ungefragt hatte die Firma mit ihrem Konterfei für das Grafik-Programm „Corel Draw 8“ geworben. Zuletzt galt sie als skurril und zickig, nur noch belesenen Filmliebhabern als Ikone, und lebte zurückgezogen in Orlando/Florida, wo sie im Januar 2000 starb.

Katja Kullmann