Sophie Rois – ein Interview

Gespräch mit der Schauspielerin Sophie Rois, erschienen im September 2012 in HAWAII, dem Magazin des Schauspielhaus Hamburg – anlässlich der Uraufführung des René-Pollesch-Stücks NEUES VOM DAUERZUSTAND.

„Selbstoptimierung? Diesen Befehl kannte ich nicht.“

Sophie Rois zum Thema Freiheit befragen: Das macht Sinn. Kaum eine deutschsprachige Schauspielerin kann es mit ihr aufnehmen, wenn es um den Charme des Eigensinns, um die Aura der künstlerischen Unabhängigkeit geht. Am Schauspielhaus spielt sie eine der drei Hauptfiguren in René-Polleschs „Neues vom Dauerzustand“. Katja Kullmann sprach mit ihr über Rauchen auf dem Balkon, Taxifahrer und Teenager, über Frauen, Männer und andere Aliens.

– – – – – – – – – – – – – – –

Lass uns über Freiheit reden. Was fällt Dir zu diesem Begriff ein, als erste Assoziation?

Ganz spontan? Da bin ich sofort erst mal skeptisch.

Warum?

Es ist nichts Neues und vor allem ist der Gedanke nicht von mir, dass es keines Terrorregimes und keiner Disziplinaranstalt bedarf um uns zu regulieren. Wir haben die Gleichschaltung verinnerlicht und regeln das selber. Menschen, denen das vor zehn Jahren nicht im Traum eingefallen wäre, stellen sich heute in ihren eigenen Wohnungen auf den Balkon um zu rauchen. Sie wollen mit dem widerlichen Raucher, der sie sind, nichts zu tun haben, sperren sich selbst aus und bestrafen sich. Ich erlebe auch mich selbst oft angstgesteuert, was mich natürlich manchmal blöde macht. Zu mir und meiner Restintelligenz komme ich in meinen künstlerischen Entscheidungen und in meinem künstlerischen Handeln. Ja, ich würde sagen, da bin ich frei. Anders würde mir dieser Beruf aber auch überhaupt keinen Spaß machen.

Das wäre dann also die künstlerische Freiheit – die du dir nimmst und genießt. Wie beschützt man die eigentlich, wie bewahrt man sie sich? Heute kann ja jeder irgendwo bei einem Casting mitmachen, in jedem steckt angeblich ein Superstar. Hat das den Schauspieler-Beruf verändert?

Es ist schon oft grausam mitansehen zu müssen, wozu sich Schauspieler auf einer Bühne vergewaltigen, wie sie sich die Knochen brechen, sich in ihrer eigenen Spucke wälzen, wahrscheinlich um an so was wie Intensität heranzukommen. Das ist auch eine Art Leistungs-Schauspielerei. Weibliche Schauspieler meinen zum Beispiel oft, sie müssten sich schlagen lassen, wenn es in einem Text um Kritik an Gewalt geht. Und Männer haben oft das Problem, dass das Läppische, Unernste dieses Berufs – welches mir teuflisches Vergnügen bereitet – mit dem traditionellen männlichen Selbstbewusstsein nur schwer zu vereinbaren ist. Vielleicht fühlt einer in sich die Autorität eines Gehirnchirurgen, steht aber letztlich nur auf einer Bühne herum und merkt: Was ich hier mache, wird die Welt nicht aus den Angeln heben, hm, schwierig… Deshalb finde ich Typen wie Robert Mitchum so anziehend. Oder Sterling Hayden. Der hat in den 50er Jahren in Filmen gespielt, die hießen „Johnny Guitar“ oder „Asphaltdschungel“. Man hat bei denen nicht das Gefühl, dass sie ihrer Tätigkeit vor der Kamera übermäßige Bedeutung beimessen. Schöne männliche Tiere sind das, die uns einfach ihren Anblick gewähren und sich freuen, auf so leichte Art zu Geld zu kommen. Kein Verdacht auf schauspielerischen Übereifer kommt auf, sie machen nie den Eindruck als hätten sie viel Zeit mit der Vorbereitung ihrer Rollen verbracht. Vielleicht haben sie das sogar – aber sie lassen es uns nicht merken!

Interessant, dass Du beim Stichwort Freiheit spontan auf diese Männer kommst. Ein klassisches Bild von Freiheit ist ja tatsächlich der Marlboro Mann, der Entwurf des lonesome cowboy. Ob in der Literatur, der Kunst, im Film oder der Musik: Wenn es um Freiheit geht, läuft letztlich immer ein Typ durchs Bild. Nie eine Frau…

Ich weiß nicht – hat es damit zu tun, dass der Mensch schlechthin noch immer der Mann ist, während das Bild einer Frau nicht zur Repräsentation der Menschheit taugt? Ich bilde mir allerdings manchmal schon was ein auf die Bilder, die wir am Theater produzieren. Ein weltumspannender Klassiker wird mir am subventionierten Theater wohl nicht mehr gelingen. Damit kann ich leben. Und ich möchte widersprechen: Wenn es um Freiheit geht, läuft heute schon auch mal Madonna durchs Bild, oder?

Genau das ist ja ziemlich enttäuschend – und auch verwunderlich, oder? Man könnte doch annehmen, dass sich etwas geändert hat. Wir tun so als seien die Geschlechter längst gleichgestellt, aber in Wahrheit ist das Meiste so verkrustet wie eh und je. Du bist jetzt 51. Wie siehst Du das bei den Jüngeren? Was ist das für eine Freiheit, die die Jüngeren heute haben oder für sich in Anspruch nehmen?

Oh je, ich habe keine Ahnung, wie Zwanzigjährige ticken. Die sind sehr weit weg von mir. Ich bin mit einigen Jüngeren befreundet und habe auch beruflich viel mit Dreissigjährigen zu tun, was mir auch viel Freude macht. Aber das ist nicht „Gleich zu Gleich“. Also, ich hänge nicht mit jungen Leuten herum nach dem Motto: „Es kommt doch nur darauf an, wie alt man sich fühlt.“ Nein! Ich bin genauso alt wie ich bin, und ich renne hier schon ziemlich lange rum, und das spür ich auch. Das spür ich in den Knochen, das spüre ich in meinem Blick auf die Welt. Ich kenne auch nicht mehr die Musik, die die hören, oder nur sehr wenig davon. Meine Popprägung ist vor dreißig Jahren passiert. Es muss mich nicht mehr alles interessieren. Zum jungen Feminismus musst Du also jemand anderen befragen. Ich bin sowieso total subjektiv. Ich schicke also gleich und ganz grundsätzlich mal voraus: Ich habe keine Ahnung. Ich bin im Österreich der Kreisky-Ära aufgewachsen. In einem Lebensgefühl von immer währendem sozialen Wohlstand – wie trügerisch, ich weiß! Trotzdem bin ich dankbar für dieses Grundgefühl, das mich nie wirklich verlassen hat. Man hat sich gerne mit Schulschwänzern, Arbeitslosen, Deklassierten herumgetrieben, das waren die Coolen, das waren die Lässigen. Jetzt gibt es einen Begriff wie Hartz Vier – das klingt nach Ansteckungsgefahr, damit will keiner was zu tun haben. Diesen Befehl zur Selbstoptimierung, der heute durch die Luft schwirrt, den kannte ich nicht. Aber ich bin auch schon Teil der Generation Selbstverwirklichung, der Weg zum Hausfrauendasein stand mir nicht mehr offen… Wir sind wohl alle an die Befehle der Zeit gekoppelt, von Anfang an.

Vielleicht wollen heute deswegen so viele Künstler werden? Einerseits gibt es dieses harsche Leistungsideal – andererseits steht die Generation Selbstverwirklichung in voller Blüte. René Pollesch hat sinngemäß ja mal gesagt: „Das Abgeschmackte am Kapitalismus ist, dass alle nur noch mit Liebe und nicht mehr mit Geld bezahlt werden wollen.“

Naja, im Stahlwerk oder am Fließband musst Du jedenfalls nicht die ganze Zeit denken: „Ich bin ein Persönlichkeits-Ass, hoffentlich merkt’s auch jeder.“ Und du hast auch irgendwann mal einfach Feierabend. Du hängst nicht rund um die Uhr dran.

Das Stahlwerk wäre dann die entfremdete Arbeit.

Ja. Das ist der Entfremdungs-Gewinn.

Tolles Wort.

Nicht von mir!

Von Pollesch?

Nein, ich weiß nicht von wem.

Wäre das ein Weg, Freiheit doch irgendwie herzustellen: durch gezielte, bewusste Entfremdung? Und welche Rolle spielt dieser Gedanke in Eurer Arbeit, in den berühmten unberechenbaren Pollesch-Stücken? Du hast mal gesagt, dass Du das sogenannte Einfühlungstheater verachtest …

Oh nein, das mache ich nicht, ich habe einfach nichts damit zu tun. Der Gefühlsreichtum eines Schauspielers interessiert mich nicht. Mich interessiert: Was macht er, was sagt er, mit welchem Humor, mit welchem Geschmack geht er an die Sache. Überhaupt ist es der Charme einer schauspielerischen Persönlichkeit, egal ob männlich oder weiblich.

Und wie entwickelt man daraus dann Theaterstücke? Wie arbeitet Ihr zum Beispiel jetzt gerade, hier am Schauspielhaus?

Es beginnt irgendwann Monate vorher mit einem Gespräch. „Hast du Zeit und Lust, machen wir wieder was zusammen? An dem und dem Theater? Mit welchen Leuten?“. Und gleich im Anfangsstadium kommt die Frage: „Wer macht die Bühne?“ Ein Glücksfall ist es, wenn es Bert Neumann ist. Ich fühle mich durch seine künstlerische Intelligenz aufgewertet und geschmeichelt. Der Bühnenbilder ist enorm wichtig, er schafft den Raum, in dem Du Dich als Schauspieler bewegst. In einem dummen, geschmacklosen Bühnenbild bist du erledigt. Ich mag zum Beispiel keine Bühnenbilder, wo ich schon gleich den Auftrag rieche: Mach dies, mach das! Viele Schauspieler freuen sich vielleicht, wenn sie eine Hüpfburg auf der Bühne sehen. Mich wird man da nicht springen sehen. Wenn ich so was vor mir sehe, verweigere ich mich sofort . Es läuft also eher so: Man entwirft zusammen eine Art künstlerische Versuchsanordnung.

Das klingt alles toll. Genauso würden vermutlich alle Schauspieler am liebsten arbeiten – nicht für Werbespots oder Pappkulissen-Soaps herhalten müssen, sondern sich in genau solchen Freiräumen bewegen.

Unsinn, ich würde nie schlecht über Werbespots reden. Ich habe davon keine Ahnung. Ich eigne mich einfach nicht dafür. Wenn man es kann, ist es wahrscheinlich ganz toll, wie alles – wenn man’s kann. Und die Soaps: Da hat man ein Riesenpublikum! Wenn ein Taxifahrer mich nach dem Beruf fragt, ist die zweite Frage gleich, ob ich in einer Serie spiele. Und dann kommt die enttäuschte Reaktion: „Ach so, nur Theater…“

Die volle künstlerische Freiheit, die du dir erobert hast, ist also auch nur ein Staubkorn im Universum?

Vor ein paar Tagen habe ich den Film „Prometheus“ von Ridley Scott im Kino gesehen. Da musste ich sehr lachen. Über die Verwirrung der Menschen. Plötzlich hat die Menschheit nämlich den Verdacht, dass weder der Darwinismus, noch der liebe Gott ihr Schöpfer ist, sondern dass es Außerirdische waren. Und so überlegen die Leute im Film, dass man die Aliens doch mal besuchen und befragen könnte, was das alles soll. Da gibt es einen alten Mann im Film, der sagt: „I’m gonna see my maker.“ Sie fliegen also irgendwohin, auf irgendeinen Planeten. Und dann stehen sie vor so einem Schlauchmonster und fragen: „Wer sind wir? Was ist unsere edle Aufgabe?“ Aber das Schöpfungswesen interessiert sich überhaupt nicht dafür, es macht „Whhhoash“ und fegt die Menschen einfach weg, nach dem Motto: „Fuck yourself!“ Das fand ich so total rührend: Diese emsige Verwirrtheit der Menschen, und der Besuch eines fernen, stinkenden Monsters – als letzte Möglichkeit zu erfahren: „Was sollen wir bloß machen?“

Neues vom Dauerzustand von René Pollesch. Uraufführung. Premiere 5. September 2012, Regie René Pollesch, Bühne Bert Neumann, mit Christine Groß, Leonie Hahn, Margit Carstensen, Sophie Rois u.a.