AHOI!
Hui, jetzt bin ich ein bisschen aufgeregt. Schon allein aus moderat abergläubischen Gründen habe ich mir nämlich vorgenommen, genau JETZT, also HEUTE, an EXAKT (!) DIESEM (!) TAG, einen Beitrag hier zu schreiben und in den Äther hinaus zu schicken.
Aber warum denn gerade heute?
Weil heute der 15. März 2025 ist!
Aha – und …?
Ist doch völlig klar: Heute in exakt einem Monat, am 15. April 2025, erscheint mein neues Buch – der weltweit mit größter Spannung erwartete intergalaktische Jahrtausendroman * * * STARS * * *!
Eigentlich will ich hier ja überhaupt gar nicht über das Buch sprechen. Die Klappentextinfo können Sie bei meinem Verlag, Hanser Berlin, lesen. Oder hier, bei der Autorenwelt, wo sie das Buch portofrei vorbestellen können.
Und selbstverständlich können Sie auch zur großen und bestimmt ziemlich unterhaltsamen PREMIERE1 kommen: am 15. April im Pfefferbergtheater in Berlin, moderiert von el fantastico Ulrich Gutmair – der Vorverkauf hat begonnen.

Ich habe mir hier nun etwas Spezielles überlegt, um Ihre Lust auf den Erwerb und die Lektüre der STARS ins schier Unaushaltbare zu steigern: ein mega-exklusives Best-of aus meinen Recherchen zum Thema ASTROLOGIE UND ANDERES CRAZY ZEUG.
Um ASTROLOGIE UND ANDERES CRAZY ZEUG geht es nämlich in den STARS. Drei Jahre lang habe ich über die Story nachgedacht, zwei Jahre habe ich an dem Roman geschrieben – und bin bei meinen Forschungen auf lauter kleine oder größere, groteske bis verblüffende bis unterhaltsame Dinge oder Figuren gestoßen, die alle nichts mit der eigentlichen Story zu tun haben und deshalb im Buch (leider) nicht vorkommen.
Eine Menge Material ist also gewissermaßen übrig geblieben, als Recherche-Juwelen möchte ich es bezeichnen und fände es schade, es sang- und klanglos in einer Kiste verstauben zu lassen. Daher werde ich hier in den nächsten Wochen peu à peu ein paar meiner schillerndsten Funde raushauen.
Dies hier ist jetzt also der erste Teil der kleinen Serie und er dreht sich um:
VISIONEN VERSCHIEDENER ART
Das Hellsehen, die Clairvoyance, die Wahrsagerei und die Geschäfte selbsternannter Medien bildeten eines der „unnützen Nebenfelder“, auf denen ich mich recherchehalber herumtrieb – ein Feld, auf dem ich die tollsten Geschichten fand, ganz reale Geschichten, Zeitungsartikel, Gerichtsprozessakten und so weiter.
Zwar spielt der kommende Sensationsroman STARS in der nervtötenden Gegenwart des frühen 21. Jhdts., im Hier&Heute – doch bei der Recherche stolperte ich immer wieder bis auf den Beginn des 20. Jhdts. zurück, eine Ära, in der alles Übersinnliche, Magische, Kosmische oder Okkulte einen weltweiten Boom erlebte, womöglich noch krasser als wir es heute vom florierenden Spiritualitäts-Business kennen.
Die 1910er bis frühen 1930er Jahre waren eine Zeit, in der Kriege und technischer Fortschritt, wildgewordener Kapitalismus und entfesselte Unterhaltungsindustrie, gesellschaftliche Emanzipationserfolge und reaktionäre Tendenzen parallel liefen – in der es vielen Menschen also so vorkam, als sei die Welt aus den Fugen2. (Klingt bekannt? Ja, ja …)
Was ich geahnt hatte, und was sich bei meinen Recherchen schnell bestätigte: Sich als Pi mal Daumen übersinnlich begabtes Medium auszugeben, stellte in der Zeit zwischen den Weltkriegen einen beliebten Modeberuf dar, insbesondere für mäßig bis schlecht ausgebildete junge Frauen. Ich würde sogar sagen: Das Berufsbild Medium war dem heutigen Tätigkeitsbild der Influencerin in mancherlei Hinsicht ziemlich ähnlich.
Et voilà: Hier kommen meine drei Lieblings-Medien von vor ca. 100 Jahren.
MEDIUM No. 1: MARY MARSHALL aka „MARY M.“ und das „EKTOPLASMA“

Hier sehen Sie das selbsternannte Medium Mary Ann Marshall (1880-1963), eine Kanadierin, ihrerzeit auch als Mary M bekannt, die behauptete, in direktem Kontakt zur Geisterwelt zu stehen. Aufgenommen wurde das Bild am 17. Juni 19323, bei einer von Marshalls Séancen, und was ihr da wie ein zerknäueltes Taschentuch im Gesicht hängt, war angeblich Ektoplasma – eine mysteriöse Substanz, bei der es sich, laut damaligem Okkultimus-craze, um eine Form von materialisierter Spiritualität handelte – einen Stoff, der eine Art Kontaktleitung zum Totenreich herstellte.
Einige wenige Naturwissenschaftler aus der Jahrhundertwendeära, etwa die Franzosen Charles Richet und Gustave Geley, waren von der Existenz des Ektoplasmas als einer Art Zwischensubstanz zwischen Dies- und Jenseits ernsthaft überzeugt. Auch der Schriftsteller und Sherlock-Holmes-Schöpfer Sir Arthur Conan Doyle (1859-1930) gab sich als Ektoplasma-gläubig zu erkennen, besuchte entsprechende spirituelle Sitzungen und berichtete fasziniert von einer „zähflüssigen, gallertartigen Substanz“, die dem jeweiligen Medium aus dem Körper entwichen sei, dem Mund, der Nase, den Ohren …
Kein Wunder also, dass der berühmten Mary M. auf dem spektakulären Foto nicht nur „irgendein“ Ektoplasma aus der Nase tropft – nein, es trieft ihr da Sir Arthur Conan Doyle höchstpersönlich aus den Nasenlöchern! Kein Scherz! Man erkennt sein Gesicht ganz deutlich! Zwei Jahre vor jener Séance war Doyle, der begeisterte Ektoplasma-Fanboy, gestorben – nun wollte er der Welt, vermittelt durch Mary M.s Atemwege und Sekretproduktionsdrüsen, etwas Wichtiges mitteilen.
Was genau Doyle dem Medium Mary M. damals mitteilte, habe ich nun leider nicht herausgefunden. Bloß, dass es sich beim fotografierten Ektoplasma aller Wahrscheinlichkeit nach um einen Fetzen Gazestoff, eventuell auch um ein Stück „Käsepapier“ handelt, war überall zu lesen – und dann noch ein bisschen was über die Finessen frühzeitlicher Fotobearbeitungstechnik.
Well, well. Mary M. hat das Beste aus den Möglichkeiten ihrer Zeit gemacht – so muss man das sehen, denke ich.
MEDIUM No. 2: CLAIRE REICHART, die multivisionäre „KASSANDRA VON MÜNCHEN“

Auch Claire Reichart ist keine Erfindung, sie existierte tatsächlich. Das Büchlein, das Sie oben sehen, trägt den schlichten Titel DIE HELLSEHERIN und kam 1925 im Münchner Verlag H. Frombold, Schellingstraße 48 heraus4. Claire Reichart ist dort abgebildet. Mit ihren riesigen und beeindruckend kugelrunden Augen, ihrem sehenden Blick, muss sie ihrerzeit so einige Leute gehörig verwirrt haben.
Am 2. November 1890 kam sie als Therese Reichart, Tochter einers Schneidermeisters, im bayerischen Hattenhofen zur Welt. Irgendwann ging die junge unverheiratete Frau ins große, aufgekratzte München, versuchte, Anschluss an die dortige Bohème zu finden5, und machte mit ihrer medialen Begabung bald von sich reden. Nicht nur die Novemberrevolution von 1918 und die Gründung der Münchner Räterepublik soll sie fast taggenau vorhergesehen haben, auch andere ihrer Prophezeihungen schienen sich zu bewahrheiten, und so wurde sie schon bald als „Kassandra von München“ verehrt.
Schon allein, dass Therese – also „Claire“ – an einem 2. November, an einem Sonntag, noch dazu am „Allerseelentag“ geboren sei, deute untrüglich auf ihre besonderen Talente hin, schrieb Claire Reicharts Vertraute und wahrscheinlich auch PR-Managerin Elisabeth von Zech, die Autorin des oben gezeigten Büchleins, das man aus heutiger Sicht wohl als Hellseherinnen-Merchandise-Ware betrachten kann.
Von „Wahrträumen“, „Pendeln“, „magnetischen Heilkräften“, „medialem Schreiben“ und „gewollt herbeigeführten Gesichten“ schwärmt von Zech in dem Büchlein – und davon, dass die paranormal bewanderte Claire R. sich gelegentlich auch „des Tischs bediene“, sowohl im Gläserrücken versiert sei, als auch im poltergeistartigen Tanzenlassen von Möbelstücken. Zusammengefasst: Claire Reichart hatte wohl fast das gesamte okkulte Portfolio drauf, konnte seherische Shows aller Art abliefern und erlangte damit eine gewisse, sicher auch lohnende Prominenz in der Münchner Society
Bis sie 1926, mit 36 Jahren, vor Gericht gezerrt wurde. Die Anklage lautete, nach Paragraph 84 des bayerischen Polizeigesetzbuches, auf „Wahrsagen, Schatzgraben, Zeichen- und Traumdeuten oder andere derartige Gaukelei„. Die Verteidigung bestritt jede betrügerische Absicht der Angeklagten. Zwar habe Claire Reichart wiederholt „Geschenke angenommen“, doch habe sie mit ihren Prophezeiungen stets „im guten Glauben an ihre Fähigkeiten“ gehandelt. Die Anklage schrumpfte schließlich auf den Tatbestand „Wahrsagen gegen Lohn“, Reichart musste nicht in Haft, sondern kam mit einer Geldstrafe davon. Ob sie diesen ihren Gerichtsprozess auch „vorhergesehen“ hatte und wie es danach mit ihr weiterging, habe ich leider (noch) nicht herausgefunden.
MEDIUM No. 3: ELSIE WHEELER und die „SABISCHEN SYMBOLE“

Eine weitere medial talentierte Generationsgenossin der Kanadierin Mary M. und der Bayerin Claire Reichart war die US-Amerikanerin Elsie Wheeler (1887-1938). Wegen schwerer rheumatischer Arthritis saß sie seit ihrem dritten Lebensjahr im Rollstuhl. Ihre Eltern starben früh, so wie auch eine ältere Schwester, im Alter von gerade mal sieben Jahren wurde Elsie zur Vollwaise. So wuchs sie in einem Heim für schwerkranke Pflegefälle auf. Als junge Frau engagierte Elsie sich im bzw. für den Behindertensport. Um über die Runden zu kommen, verkaufte sie am Straßenrand, von ihrem Rollstuhl aus, billige Puppen an Passanten.
Und: Sie entdeckte, wie so viele weitgehend chancenlose junge Frauen ihrer Zeit, das Spiritualitäts-Business als Geschäftsfeld. Auch Elsie begann, sich als Medium zu bezeichnen und gegen Geld diese oder jene mehr oder minder wolkige Vorhersage zu liefern. Genaueres habe ich aus dieser ihrer seherischen Anfangszeit nicht in Erfahrung gebracht – belegt ist aber, dass sie im Jahr 1923 auf einen Astrologen namens Marc Edmond Jones traf und dass die beiden sich sogleich zusammentaten, jedenfalls geschäftlich. (Jones hatte zuvor auch schon mit Tarotkarten experimentiert, war allem Ungewöhnlichen gegenüber also äußerst aufgeschlossen).
An einem Sommertag des Jahres 1925 soll es dann geschehen sein: In einem Stadtpark im kalifornischen San Diego saßen Elsie Wheeler und der ihr ergebene Astrologe nebeneinander, er auf einer Bank, sie in ihrem Rollstuhl, und sie empfing (channelte) plötzlich 360 Visionen hintereinander – für jeden Grad des Tierkreises ein spezifisches Bild. Zum Beispiel für 2° Widder: Ein Komiker unterhält eine Gruppe. Oder für 23° Zwilling: Kinder beim Eislaufen. Oder für 5° Steinbock (eine der rätselhaftesten Elsie-Wheeler-Visionen überhaupt): Ein dunkler Bogengang, auf dessen Boden zehn Holzklötze liegen.
Der geschäftstüchtige, stets um Eigenmarketing bemühte Astrologe Marc Edmund Jones (die spirituelle, okkulte, kosmische Konkurrenz jener Tage war, wie erwähnt, groß) ließ sich alles von seiner schwer kranken Freundin in sein Notizbuch diktieren, verwendete Elsies spontane Eingebungen fortan bei seinen eigenen sterndeuterischen Unternehmungen, schmückte seine Analysen und Prognosen damit aus – und wurde ein ziemlich gefragter Mann damit.
Dreizehn Jahre nach ihrem unverhofften Visionen-Flash starb Elsie Wheeler, mit 51 Jahren und nicht gerade reich geworden, in einem Krankenhaus in San Diego. In einem Zeitungsnachruf wurde sie als „ordinierte Geistliche des spirituellen Glaubens“ und beliebte Zeitgenossin mit einer zwar schweren Krankeitslast, aber einem „fortwährenden Lächeln“ gewürdigt.
Das wirklich Mysteriöse an Elsie Wheelers berührender Geschichte ist -wahrscheinlich – einzig und allein dies: Dass die Visionen, die sie an einem Sommertag des Jahres 1925 in einem Stadtpark von San Diego gechannelt hat, von vielen Astrologen eins zu eins ernst genommen wurden – und immer noch werden: Als Sabische Symbole gehören Elsies Spontaneingebungen auch heute, einhundert Jahre später, noch zum Handwerkszeug etlicher Astrologinnen und Astrologen.
Ein wirklich irrer Erfolg für eine zierliche, ziemlich arme, rheumakranke, nie verheiratete, Perlenketten liebende Puppenverkäuferin, nicht wahr?
„FORTUNETELLING“ ZUM MITSCHARWENZELN
Wie viele Songs über Wahrsagerei, Hexerei, Voodoo, Magic, Verfluchungen etc. schon komponiert wurden, weiß ich nicht – nur dass dies hier einer meiner ewig liebsten zum Thema ist.
Immer fingerschnipsend, immer die Ihre: KK
- Das Foto mit mir im weißen Blouson hat Paula Winkler im Auftrag von Hanser Berlin im August 2024 gemacht ↩︎
- ein Zitat aus William Shakespeares „Hamlet“ (falls Sie sich mal gefragt haben sollten, woher diese Redewendung eigentlich stammt) ↩︎
- von einem Fotografen namens Thomas Glendenning Hamilton. Das Original befindet sich heute im Bestand der University of Manitoba in Winnipeg, Kanada. ↩︎
- Mit viel Glück schoss ich dieses gut erhaltene Exemplar für ein paar Euro bei einem Online-Antiquariat, nachdem der Name „Claire Reichart“ mir bei meinen Recherchen mehrmals untergekommen war ↩︎
- Auch die Künstlerin und dauer-prekäre Münchner Lebedame Franziska Gräfin Reventlow, die berühmte „Skandalgräfin von Schwabing“, hielt losen (zunehmend distanzierten) Kontakt zu den damals modischen „okkulten Kreisen“ – etwa durch ihre Affäre mit dem „Graphologen“, Psychologen, Antisemiten und späteren Nazi-Anhänger Ludwig Klages, der sich im Kosmiker-Kreis und im geistesverwandten George-Kreis rund um den Dichter Stefan George herumtrieb. ↩︎
Weitere Fotoanmerkungen: Die Illustration ganz oben (Frau, Kristallkugel, Mann) habe ich bei der rechtefreien Grafikdatenbank openclipart.org gefunden. Für das Foto von Elsie Wheeler (nach 75 Jahren rechtefrei) habe ich keinen Urheber ausmachen können.