AHOI,
vor einer Woche haben die STARS nun endlich den Literaturhimmel erleuchtet (pardon my author’s kitsch for a second – thank you), drumherum liegen geblieben ist Teil 3 der kleinen Serie von Recherche-Juwelen, die mir bei der Arbeit an dem Roman untergekommen sind.
Aber jetzt ist es so weit: Wenn Sie mögen, werfen wir nun einen Blick auf die dunkle – die allerdunkelste – Seite des Mondes: auf das, was ich hier kurz und knapp Nazi-Astrologie nenne.
Bei den folgenden Funden handelt es sich weitgehend um historisches Material von überwiegend üblem Charakter. In den STARS taucht das alles nicht auf, weil es den Rahmen der Geschichte, die ich da erzähle, gesprengt hätte. Dennoch war das Wühlen in jenem Schlamm wichtig für mich: das Erkunden der menschenverachtenden, äh, Sinnzusammenhänge, die der Astrologie immer wieder angehängt wurden und werden (auch heute noch).
Oder ist es doch die Astrologie selbst? Ihre Ideenarchitektur, ihre Ordnungsprinzipien („Elemente“, „Quadranten“, „Qualitäten“, die eine Persönlichkeit „formen“, lalala)? Das ihr innewohnende Ergebenheitsprinzip („höheren Mächten“ gegenüber), das die Menschenverachtung befördert?
Ein paar Recherche-Splitter haue ich hier nun also noch raus – in einzelnen Mini-Kapiteln – immer bloß stichwortartig skizziert und mit Links versehen (falls Sie dem einen oder anderen noch weiter nachgehen wollen).
Es ist recht viel, aber keine Sorge: Sie können es sich auch in einzelnen Häppchen zu Gemüte führen – oder direkt zu den Abschnitten klicken, die Sie am meisten interessieren – oder es einfach ignorieren (es handelt sich ja doch um Material aus der Kategorie special interest, zugegeben) – jedenfalls: Nein, ich werde es später nicht bei Ihnen abfragen.
Okay, die gruselig knarzende Schatztruhe ist geöffnet:
„ARIER“ AM KOSMISCHEN LAGERFEUER
ASTROLOGIE 1936: „MIT BESTEN WÜNSCHEN FÜR IHRE ARBEIT, ADOLF HITLER“
„URANIAS KINDER“: WARUM DIE NAZIS DIE ASTROLOGIE DANN DOCH VERBOTEN
NACHKRIEGS-DEUTSCHLAND HAT(TE) NICHTS GEGEN ASTRO-FASCHOS
LEKTÜRETIPPS: 2 LEUTE, DIE ES FRÜH GECHECKT HABEN – UND 2 LEUTE VON HEUTE
„ARIER“ AM KOSMISCHEN LAGERFEUER
Beginnen wir mit dem Schwarzweißfoto1 vom Lagerfeuer ganz oben in diesem Beitrag: Es wurde 1933 in der Gegend von Worms aufgenommen, bei einer der ersten großoffiziell organisierten Sonnwendfeiern von „Hitlerjugend“ (HJ) und „Bund Deutscher Mädel“ (BDM).
Als Sonnenwende – lateinisch: solstitium („Sonnenstillstand“) – haben antike Astronomen den Zeitpunkt bezeichnet, an dem die Sonne ihren höchsten bzw tiefsten Stand zur Erde erreicht, von der Nordhalbkugel aus betrachtet. Zweimal im Jahr ist es so weit: Bei der Wintersonnenwende erreicht die Sonne die geringste Mittagshöhe über dem Horizont, immer am 21. oder 22. Dezember. Kalendarisch beginnt damit der Winter, und in der astrologischen Zeitrechnung betritt die Sonne in jenem Moment den Steinbock, das sozusagen „dunkelste“ der zwölf Sternzeichen
Das astronomische Gegenstück, die Sommersonnenwende – der längste Tag oder die kürzeste Nacht des Jahres, der kalendarische Sommeranfang – findet immer am 21. oder 22. Juni statt, mit dem astrologischen Übergang der Sonne in das „hellste“ aller Sternzeichen, den Krebs.
Beide Sonnenwenden galten in antiken oder frühmittelalterlichen Kulturen als mystische Zeitpunkte, vor allem in Nordeuropa (wo es im Winter bekanntlich besonders dunkel und im Somme besonders hell ist). In Skandinavien und im Baltikum sind Reste dieses Kults noch heute lebendig, etwa beim schwedischen Midsommar-Fest oder bei Joninės in Litauen, beides staatliche Feiertage in jenen Ländern.
Ab 1933 stiegen die Nazis verstärkt in dieses von ihnen als arisch betrachtete Brauchtum ein (wenngleich es zuvor in Deutschland gar nicht unbedingt sehr verbreitet war) und verordneten ihren Jugendorganisationen generalstabsmäßig organisierte Sonnenwendfeiern, wie auf dem obigen Foto zu sehen.
„Mit dem Fest erhofften sich die Nationalsozialisten eine Abkehr von christlichen Traditionen, hin zu Ritualen im Sinne der völkischen Blut-und-Boden-Ideologie. Der Rückgriff auf die Mythologie des Germanentums diente dabei als rassistischer Ausdruck einer vermeintlichen Überlegenheit der ,arischen Rasse’“: So formuliert es der Journalist Jean-Philipp Baeck in einer Reportage von einem Neo-Nazi-Sommerwendfest im niedersächsischen Eschede im Juni 2024.
Ja, neue Nazis docken längst wieder so gut wie unverblümt an Rituale der alten Nazis an, das weiß man ja inzwischen, und nicht selten finden sie dabei Verbündete aus dem riesigen, komplett unübersichtlichen Feld der Esoterik. Die Sozialosychologin Pia Lamberty und die Publizistin Katharina Nocun haben dazu 2022 das Buch GEFÄHRLICHER GLAUBE. Die radikale Gedankenwelt der Esoterik veröffentlicht.2
Ein besonders grauenhafter Zweig der Esoterik war (ist) die sogenannte Ariosophie, eine antisemitisch-rassistische Quasi-„Religion“, die in den Anfängen des 20. Jhdts. erblühte und vor allem in Österreich und Deutschland zahlreiche Anhänger fand. „Ariosophische Autoren verbanden Vorstellungen einer Überlegenheit der ,arischen Rasse‘ und Forderungen einer Reinerhaltung bzw. Züchtung dieser vermeintlichen Rasse mit Elementen der Astrologie, der Zahlensymbolik, der Kabbala, der Graphologie und der Handlesekunst“, heißt es dazu im kompakten Überblick bei Wikipedia.
Einige aus dem ursprünglich eher freiheitlich-emanzipatorisch angelegten Lebensreform-Lager wandten sich in den 1920ern der Ariosophie zu, etwa Rudolf Steiner, der noch heute von vielen verehrte „Vater der Homöopathie“ (und Pate der Waldorfschulen), der Vorstellungen eines „rassisch“ und „spirituell“ bevorteilten Übermenschen (homo divinus) anhing und dessen Lehre zuletzt 2007 von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien kritisch durchleuchtet wurde und laut einem wissenschaftlichen Gutachten „Thesen zur unterschiedlichen Wertigkeit von ‚Menschenrassen‘“ enthält.3
Auch der von den Nazis hofierte „Graphologe“, „Kosmiker“ und (Pseudo-)Philosoph Ludwig Klages (1872-1956) schwelgte in ariosphischen Übermachtsfantasien: „Das germanische Wesen war als die vollendete Mischung aller Erdelemente angelegt“, schrieb Klages einmal – mit deutlichen Anklängen an die astrologische „Elemente-Lehre“.
Die Kosmiker (nicht: Komiker) aus Ludwig Klages‘ Tagen verehrten, ebenso wie Rudolf Steiner, den deutschen Dichterfürsten Johann Wolfgang von, und das nicht nur wegen dessen Wortgewalt, sondern wohl auch, weil Goethe ein bekennender Astro-Junkie war. Falls es jemand gerade nicht parat hat, die ersten Sätze von Goethes Autobiografie DICHTUNG UND WAHRHEIT lauten:
Am 28. August 1749, mittags mit dem Glockenschlage Zwölf, kam ich in Frankfurt am Main auf die Welt. Die Konstellation war glücklich: die Sonne stand im Zeichen der Jungfrau und kulminierte für den Tag; Jupiter und Venus blickten sie freundlich an, Merkur nicht widerwärtig, Saturn und Mars verhielten sich gleichgi(ü)ltig.
Weit ausholen könnte man hier nun, ich fasse mich jedoch kurz: Der Kult um die Schwarze Sonne, die Legenden um die Vril- und die Thule-Gesellschaft, um Reichsflugscheiben und die arische Abstammung vom sagenumwobenen Himmelskörper Aldebaran: Absurdeste Verwandtschafts- und Verschwörungslinien wurden (und werden) zwischen der Esoterik bzw. der Astrologie und der ab dem 19. Jhdt verstärkt hochköchelnden sogenannten Rassenlehre und dem Antisemitismus gezogen – inklusive aller möglichen „Überlegenheits“-Fantasien und Vernichtungsgelüsten. And it’s coming back – jedenfalls in den besonders finsteren Nischen der Spiritualitäts-Blase.
So viel fürs Erste. (Wie erwähnt: Nur knappe Skizze hier jetzt im Blog.)
ASTROLOGIE 1936 – „MIT BESTEN WÜNSCHEN FÜR IHRE ARBEIT, ADOLF HITLER“


Ob Adolf Hitler persönlich an Horoskope glaubte oder nicht, ob nur phasenweise oder durchgängig, ob bloß ein bisschen oder doch ganz schön stark, dazu gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Fakt ist, dass das NS-Regime sich von der Astrologie einiges erhoffte – und sie zugleich fürchtete.
Der Internationale Astrologen-Kongress 1936 in Düsseldorf war die letzte noch erlaubte öffentliche astrologische Großveranstaltung in Deutschland, mit Teilnehmenden aus 15 europäischen Ländern und den USA. Das Booklet, das Sie oben sehen (140 kleinbedruckte Seiten, der abschließende Kongress-Bericht samt aller Vorträge), ist ein Original, wundersamerweise habe ich es für recht wenig Geld antiquarisch ergattern können. (Ein gruseliger Moment, es auszupacken. Allein schon der Titel: ASTROLOGIE 1936 auf rosafarbenem Grund – weird, wie wir Globalistinnen des 21. Jhdts. sagen.)
Ausgerichtet wurde der Kongress u.a. von einem Mann namens Hubert Korsch, gebürtig aus dem rheinländischen Neuss, studierter Jurist und überaus ehrgeiziger Astrologe. Er vertrat eine Strömung, die er wissenschaftlich fundierte Astrologie nannte und gab ab 1930 die Zeitschrift ZENIT. Zentralblatt für astrologische Forschung heraus – hier sehen Sie das Blatt und den Mann:


Nicht nur im ZENIT, auch beim Düsseldorfer Astrologenkongress von 1936 schmiss Korsch sich mächtig an die Nazis ran. Im obigen Kongressbooklet wörtlich wiedergegeben ist zum Beispiel das „Begrüßungstelegramm an Reichsminister Dr. Goebbels“, das Korsch verschickte:
Die deutschen Astrologen, die diesen Kongreß besuchen, versichern Ihnen letzten Einsatz ihrer Kraft für die Mehrung deutscher Geltung auch in ihrem Fach. Unverbrüchliche Treue zu Führer und Volk sind ihnen dabei selbstverständliches und höchstes Gebot. Heil Hitler!
Im Original abgedruckt: das „Antworttelegramm des Führers“:

In seinem Eröffnungsvortrag zum Kongress wetterte Korsch gegen all jene Sterndeuter, die nicht auf seinen angeblich „streng wissenschaftlichen“ und NS-ergebenen Kurs einschwenkten. Vor allem wetterte er gegen Sterndeuterinnen – die Frau, das minderbemittelte, wankelmütige, kaum vertrauenswürdige Geschlecht, zur Zucht gut zu gebrauchen, aber sonst … – nicht wahr? Jaja.
Hinter Korschs Gedröhne stand auch ein erbitterter Machtkampf, den er mit einem anderen NS-treuen deutschen „Star-Astrologen“ jener Tage ausfocht, mit Hugo Vollrath, dem Gründer der Astrologischen Gesellschaft in Deutschland (AGiD) – aber das führt nun zu weit, ich bleibe hier im Bog jetzt mal bei Korsch und seinem Kongress.
Korsch in seinen eigenen Worten – zum Kongressauftakt:
Die Ausmerzung der sogenannten populären Astrologie muß in noch bedeutend erheblicherem Maße erfolgen. (…) Vielfach ist es das weibliche Geschlecht, das sich auf diesem Gebiete hervorragend betätigt. (...) Eine richtig angewandte Astrologie kann von unermeßlichem Vorteil sein, sowohl für den einzelnen, wie für ganze Völker. (Ich) bitte Sie, meine verehrten Anwesenden, mit mir unseres Staatsoberhauptes, unseres Führers und Reichskanzlers Adolf Hitler in Liebe und Verehrung zu gedenken.
Etliche andere Redner des Astrologiekonkonggresses stimmten dann in die Nazi-übliche und auch heute noch verschwörungstheoretisch höchst vitale Intellektuellenfeindlichkeit ein, wetterten gegen „zu viel Geist“ und warben für „mehr Seele“ – für mehr Ganzheitlichkeit, wie es im Eso-Jargon ja bis heute ungebrochen heißt. Ein „Dr. Rolf Reissmann, Berlin“ hielt etwa einen Vortrag mit dem Titel Die Astrologie von morgen, darin sagt er:
(Es geht um) die Abkehr von einem überspitzten Intellektualismus, um die Abkehr von Materialismus, um die Wiedereinführung einer menschlichen Ganzheitsbetrachtung und um das Ende eines übetriebenen Spezialistentums. (…) Damit zeigt sich aber: daß die Astrologie eine Denkform ist, die einem großen, wichtigen und entscheidenden Seelenraum unseres heutigen Menschen entspricht, und daß sie eben als ein Deutungsinstrument, das in seiner Struktur den tieferen Seelenschichten adequat ist, sich zur Deutung dieser Seelenschichten am besten eignet, denn sie zerfasert und zerdenkt nicht die Bilder und Symbole, die im Menschen liegen, sondern deutet sie wiederum in symbolisch bildhafter Form unter Umgehung eines psychologischen Begriffssystems und logischer Erkenntnisschubladen.
Die „Umgehung logischer Erkenntnisschubladen“ wird hier selbst- und siegesgewiss als ein Grundprinzip der Astrologie gefeiert: Zur Hölle mit der Vernunft! Schluss mit dem „Zerdenken“! Ein Hoch auf Bilder und Symbole, die die menschlichen Seelenschichten auf viel direktete Art erreichen! (Könnte so oder so ähnlich heute auch in einem Handbuch „Populismus – Propaganda – die Wirkung allerschlichtester Internet-Memes“ stehen, nicht wahr?)
Ein weiterer Astro-Redner, „Fritz Werle, München“ (der bis zu seinem Tod 1977 als Experte für das chinesische I-Ging galt), betonte, wie überfordernd manche Neuerungen der Moderne auf viele Menschen wirkten und sprach sich explizit gegen das aus, was heute Diversität genannt wird: bloß keine Ambivalenzen oder Ambiguitäten, bloß nichts Kompliziertes, lieber auf „das Einfache“ konzentrieren:
Und eines lehrt uns das Leben eindeutig: nicht in der Vielfalt, nicht im unendlich Differenzierten, sondern im Einfachen liegt der Weg zur Weisheit. Je mehr wir den Blick abwenden können von dem Vielen, das uns, wie das Wort so schön sagt, zerstreut, umso mehr werden uns die Segnungen des Wenigen, in dem wir uns versammeln, offenbar.
„Das Wenige, in dem wir uns versammeln“: Das war hier also die Astrologie und der Glaube an die Überlegenheit des deutschen Volkes.
Tja – es hat dann aber doch nicht genügt, dieses Wenige.
Denn: Nur 6 Jahre nach besagtem Astrologie-Kongress, aller Hitler-Schmeichelei, allen Goebbels-Telegrammen zum Trotz, landete der Kongress-Veranstalter Hubert Korsch 1942 in einem KZ in Brandenburg, wo er, laut damaliger offizieller Auskunft, an einer Lungenentzündung starb. Andere Quellen mutmaßen, er sei von der SS durch einen Genickschuss getötet worden.4
Hä? Aber warum denn? Was hatten die Nazis denn plötzlich gegen die ihnen so unterwürfig hinterherschleimenden Astro-Heinis?
„URANIAS KINDER“: WARUM DIE NAZIS DIE ASTROLOGIE DANN DOCH VERBOTEN
Das NS-Regime pflegte, was die Astrologie angeht, einen völlig irren Doppelstandard.
Einerseits versuchten die Nazis, astrologisches Geheimwissen zur psychologischen Kriegsführung gegen die alliierten Feinde zu nutzen. Das Goebbels’sche Reichspropagandaministerium, Bereich Auslandspropaganda, unterhielt eigene diskrete Abteilungen dafür (angeblich u.a. in der Berliner Lützowstraße), und die Sterndeuter, die auf Anweisung und Rechnung des NS arbeiteten, wurden von manchen als „Käfig-Astrologen“ bezeichnet.
Andererseits fürchteten die Nationalsozialisten, das deutsche Volk könne vom deutschen Volksglauben abfallen, wenn es sich zu sehr mit den Sternen beschäfigte – oder sogar mit Horoskopen, die alles andere als ein schmeichelhaftes Bild des Führers zeichneten.
Das astrologische Geraune stand, aus nationalsozialistischer Perspektive, in direkter Konkurrenz zum völkischen Geraune, auf das die Nazis ihre Terrorherrschaft gründeten.
Aus dem gleichen Grund waren auch die christlichen Kirchen den Nazis lästig, wie überhaupt alle anderen Glaubens-Systeme. Und erst recht natürlich die Wissenschaft(en), die dem Nazi-Germano-Gewolke sachlich, faktisch widersprachen.
Besonders gefährlich an der Astrologie, aus Nazi-Sicht: Die Astrologie betrachtet den Menschen eben nicht in erster Linie als Kollektivwesen, sondern als Individuum mit ganz und gar nicht standardisierten (oder gar „rassisch“ vorgegeben) Eigenschaften, Schwächen und Begabungen. Der universalistische Ansatz der (Ur-)Astrologie war den Nazis komplett zuwider.
Und an dieser Stelle möchte ich, nun ja, vielleicht nicht unbedingt eine Lanze brechen für die Astrologie-Branche – aber doch kurz auf ein im Grunde banales Faktum hinweisen:
In der Tat gab es wohl eine ganze Menge Astrologinnen und Astrologen, die das NS-Regime bis zum Ende unterstützten, die ihr Wissen und ihre Methoden der NS-Ideologie anpassten und zur Verfügung stellten und/oder selber glühende Antisemiten und Nationalsozialisten waren.
Dies galt alllerdings für beinahe alle Berufsgruppen: Mediziner haben bekanntlich Euthanasie im Dienste der Nazis betrieben, Lehrkräfte haben Rassekunde gelehrt, Ingenieure haben Panzer und Vernichtungsfabriken gebaut, Architekten germanische Prunkbauten entworfen, Künstler und Künstlerinnen haben arisch korrekte Werke, Texte, Theaterstücke und Filme geschaffen, Unternehmer haben Uniformen und Hakenkreuz-Merchandise hergestellt, Lokführer haben Todeszüge gelenkt, Landwirte haben deutsche Kartoffeln auch von Zwangsarbeitern aus deutscher Erde klauben lassen, Buchhalter und Stenotypistinnen haben Umsiedelungs- und Vernichtungslisten verwaltet.
Diese Berufsgruppenaufzählung soll kein billiger Whatabout-ismus sein, nach dem Motto: „Guckt euch doch selber an!“ Allerdings scheint es mir doch geboten, die Astrologie-Branche, dieses merkwürdige und tendenziell seit jeher prekäre Kleingewerbe, hier nicht zu sehr von anderen Branchen, Disziplinen und Handwerken abzusondern. Auch die Naturwissenschaften biederten und dienten sich den Nazis an (Biologen oder Anthropologen, die Phrenologie betrieben z.B.) – und wie wohl in fast allen Berufsgruppen, gab es auch in der Astro-Branche etliche Leute, die mit dem Nationalsozialismus nichts zu tun haben wollten und/oder sogar offen dagegen opponierten. Manche, weil sie selber jüdisch waren. Andere, weil sie mit dem NS prinzipiell, aus politischen Gründen, nichts zu tun haben wollten.
Und einige Sternleser registrierten sehr genau, dass gerade Jüdinnen und Juden sich, je weiter der Judenhass fortschritt, in ihrer Verzweiflung verstärkt an Astrologen wandten. In einem Zeitzeugenbericht heißt es über einen (nichtjüdischen) Astrologen namens F.G. Goerner:
(Ab 1934) kamen immer mehr Juden, und Herr Goerner hatte zunehmend mit verstörten Menschen zu tun, die wissen wollten, ob sie aus Hitlers Deutschland auswandern sollten oder nicht. Goerners jüdische Klientel wurde immer mehr zur Belastung, da sie die unwillkommene Aufmerksamkeit der Gestapo mit sich brachte.
Nachzulesen ist dieses bedrückende Zeitzeugnis in dem Band URANIAS KINDER. Die seltsame Welt der Astrologen und das Dritte Reich, das 1967 im englischen Original erschienen und hierzulande 1995 bei Beltz Atähneum verlegt worden ist.

Geschrieben hat das Buch der Brite Ellic Howe alias Armin Hull (1910-1991), der im Kampf gegen Nazi-Deutschland für das britische Militär als „Meisterfälscher“ für die Political Warfare Executive gewesen sein und dabei u.a. deutsche Ausweise, Wehrmachtsbefehle und Lebensmittelkarten fingiert haben soll. Eine spannende Type, wie mir scheint, mütterlicherseits mit jüdischen Wurzeln aus Odessa.
Mit vielen Originalmaterialien, Dokumenten, Zitaten, Fotos zeichnet Howe das wankelmütige, neurotische, komplett bigotte – und letztlich dann eben auch mörderische – Verhältnis des NS-Regimes zur Astrologie nach.5
Ich brauche jemanden, der sich für mich durch den Nostradamus arbeitet. Können Sie das für mich erledigen?
Mit diesen Worten ist etwa Joseph Goebbels in Howes Buch zitiert. Ellic Howe hatte für seine Recherchen u.a. einen deutschen Astrologen namens „Dr. H.H. Kritzinger“ besucht und interviewt. 1922 hatte Kritzinger ein Buch mit dem Titel MYSTERIEN VON SONNE UND MOND veröffentlicht, Magda Goebbels war angeblich ein Fan und hatten ihren Gatten, Hitlers Propagandachef, zur Konsultation des besagten Herrn Dr. Kritzinger ermutigt.
Er (Goebbels) schlug (1940) vor, Horoskope aller führenden alliierten Persönlichkeiten zu erstellen, wahrscheinlich für die pyschologische Kriegsführung
heißt es in URANIAS KINDER. An anderer Stelle schildert Howe eine Goebbels-Anekdote aus dem April 1945: Kaum hatte Goebbels vom Tod des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt erfahren, habe er „eine Flasche Champagner für seine Gefährten geordet und sogleich mit dem Führer telephoniert“:
,Mein Führer‘, rief er, ,ich beglückwünsche Sie! Roosevelt ist tot. In den Sternen steht es geschrieben, daß die zweite Aprilhälfte für uns eine Wendung bringen wird. Heute ist Freitag, der 13. April. Es ist der Wendepunkt!‘ Vierzehn Tage später nahmen Hitler und Goebbels sich das Leben.
Ein noch viel überzeugterer Astrologie-Jünger war aber Hitlers langjähriger Stellvertreter und SS-Obergruppenführer Rudolf Heß, der sich, laut Howe, jahrelang um ein Stiftungskapital von 12 Millionen Mark und jährliche Subventionen von 2 Millionen für ein von ihm geplantes „Zentralinstitut für Okkultismus“ bemüht hatte. Am 10. Mai 1941 flog Heß bekanntlich in einem Kleinflugzeug, allein und ohne jede Absprache mit seinem „Führer“ nach Schottland, mit der wahnwitzigen Idee, direkte und höchstpersönliche Friedensverhandlungen mit den Briten aufzunehmen.
Auszug aus URANIAS KINDER:
Ernst Schulte-Strathaus, Literaturhistoriker und Goethe-Experte, war Heß‘ Experte für Okkultes, war Mitarbeiter in Heß‘ „Braunem Haus“ in München und stand im Dienst der Reichskulturkammer. Er soll Heß den 10.5.1941 als passenden Abflugtag suggeriert haben – zumindest deutete es Heß so.
Es werde dann „eine ungewöhnliche große Konjunktion mit sechs Planeten im Zeichen Stier bei gleichzeitigem Vollmond“ stattfinden. Scherzhaft habe er gesagt, so viele Planeten an einer Stelle könnten die Erde aus der Bahn werfen. (…) Die Münchner Astrologin Maria Nagengast behauptete (…) 1954, sie habe im März 1941 einen Brief von Heß erhalten. Er habe sie nach einem günstigen Tag für eine Auslandsreise gefragt. Sie habe den 10. Mai 1941 vorgeschlagen und dafür 300,- RM Honorar erhalten.
Diese Aktion Heß bedeutete dann den Untergang für die Astrologiebranche in Deutschland. Adolf Hitler ist bei Howe dazu mit folgenden Worten zitiert:
„Heß ist vor allem ein Deserteur, und wenn ich ihn je erwische, büßt er für diese Tat als gemeiner Landesverräter. Im übrigen scheint mir dieser Schritt stärkstens mitveranlaßt zu sein von dem astrologischen Klüngel, den Heß um sich in Einfluß hielt. Es ist daher Zeit, mit diesem Sterndeuterunfug radikal aufzuräumen.“
Die verschiedenen astrologischen Verbände, etwa die 1924 gegründete AGiD und die 1927 gegründete Deutsche Kulturgemeinschaft zur Pflege der Astrologie, wurden endgültig aufgelöst.
Schon ab 1935 waren einschlägige Zeitschriften (wie auch Hubert Korschs weiter oben erwähnter ZENIT) nach und nach verboten und die Auflagen für „Astrologen, Graphologen, Charakterologen und Chirologen“ deutlich verschärft worden. Als Freiberufler hatten sie der Deutschen Arbeitsfront beitreten können – allerdings erst nach intensiver Gesinnungsprüfungen, es wurde streng zwischen politisch „zuverlässigen“ und „unzuverlässigen“ Astrologen unterschieden. (Nicht, dass man hier nun gleich an den Stalisnismus oder an Trumps und Musks DOGE-Massaker denken muss, oder eben den gegenwärtigen Feldzug der Trump-Administration gegen die akademische Klasse …)
Howe zitiert aus einem „Gesinnungsfragebogen“, den die Nazis ab 1941 allen Astrologinnen und Astrologen vorlegten, die die Gestapo aufspüren konnte. Eine Frage lautete:
Sind nach Ihrer Meinung die Gestirnstellungen bestimmend für das Schicksal der Menschen und wie verhalten sich Willensfreiheit und Erbanlagen dazu?
Noch deutlicher fällt diese Fragebogenformulierun aus (Achtung, es kommt das N-Wort vor):
Haben die Angehörigen verschiedener Rassen (Arier, Juden, Chinesen, Neger), die unter derselben Konstellation am gleichen Ort geboren sind, die gleichen Horoskopaussagen zu erwarten? Wenn Ja, dann erkennen Sie die rassischen Voraussetzungen des Schicksals nicht an?
Manche, wie die am 9.6. 1941 in München verhaftete Astrologin Dr. Gerda Walther, versuchten laut Howe, sich „mit ausweichenden Antworten“ aus der Affäre zu ziehen.
Doch nur wenigen gelang das. Viele wurden – wie der schon erwähnte Düsseldorfer Kongress-Astrologe Hubert Korsch – wegen ihres volksschädlichen Tuns in KZs verbracht und getötet, je weiter der Krieg fortschritt, je veheerender die Lage, umso eiliger.
NACHKRIEGS-DEUTSCHLAND HAT(TE) NICHTS GEGEN ASTRO-FASCHOS
Auch für die Astrologie-Branche (also: für diejenigen, die 1933 bis 1945 überlebt haben) galt nach dem Ende des NS-Regimes das, was für andere Berufszweige galt: Nachkriegsdeutschland drückte ein Auge zu (das rechte Auge, wie die dazugehörige Metapher lauten muss) und ließ die Leute weitermachen – muss ja!
Nicht wenige noch heute in Astro-Kreisen erwähnte oder gar gefeierte Figuren waren durchaus nah am Nazi-Regime dran gewesen. Zum Beispiel die glühende Hitler-Verehrerin Elsbeth Ebertin, die ihrem „Führer“ ein höchtspersönliches Geburtshoroskop erstellte – bzw. deren Sohn, Reinhold Ebertin, der unter der NS-Herrschaft u.a. die von Antisemitismus durchzogene Zeitschrift Mensch im All und ab 1932 auch die Publikation Der Seher herausbrachte. Auf Ebertins astrologische Methoden – etwa auf seine Halbsummen-Berechnungen, die auch heute noch in der astrologischen Hamburger Schule6 angewendet werden – verweist aktuell beispielsweise die Schweizer Astrodienst AG auf ihrem Online-Portal Astrodienst.
So wie dort auch „dem größten deutschsprachigen Astrologen“ Thomas Ring (1892-1983) noch beinahe ungebrochen gehuldigt wird. 1927 war Ring in die KPD eingetreten, ein paar Jahre später wanzte er sich aber doch an die Nazis ran und trat der Reichschrifttumskammer bei.
Es ist wirklich erschreckend: Einige heutige Größen der Astro-Szene berufen sich ganz arglos (oder nur arglos tuend?) auf Thomas Ring, etwa der Berliner Künstler und „Star-Astrologe“ Alexander von Schlieffen: „Als ich Mitte 20 war, hatte meine Ateliernachbarin ein Bücherregal voll mit fürchterlichen Astro-Schinken, kitschig, esoterisch. Aber eins hatte ein elegantes Cover: GENIUS UND DÄMON von Thomas Ring. Ich las das Vorwort und war fasziniert. Kurz darauf habe ich eine Ausbildung zum Astrologen angefangen“, sagte von Schlieffen 2022 in einem Gespräch mit der taz.
Weder in jenem taz-Interview, noch in anderen heutigen Erwähnungen des „größten deutschen Astrologen Thomas Ring“, kommt dessen mehr oder minder unveblümte rassistische Weltsicht zur Sprache. Auch in der Thomas-Ring-Kurzbiografie bei der Astrodienst AG ist lediglich von Rings „Studien der menschlichen Physiognomie“ die Rede.
Ich habe mir diese beiden „Dritte-Reich“-Bestseller von Thomas Ring einmal etwas genauer angesehen, seine Bücher DER MENSCH IM SCHICKSALSFELD (1941) und DAS LEBEWESEN IM RHYTHMUS DES WELTRAUMS (1939).

Die Lektüre war, erwartungsgemäß, annähernd unerträglich. Hier, als Beispiel, ein Thomas-Ring-Absatz über den Einfluss der „Rassenkräfte“ auf die Persönlichkeit: Laut Ring ist die Wirkmacht der „Rassenkräfte“ in bestimmten Fällen stärker als die astrologische „Geburtskonstellation“ – vor allem bei „Naturvölkern“, die ungleich „weniger individuell“ seien „als selbst der primitivste Europäer“, schreibt er:

Ein lupenrein deutscher Denker, nicht wahr? Und, wie erwähnt: Auch im 21. Jhdt. verehren manche Leute den Autor jener Zeilen noch als „größten deutschsprachigen Astrologen“.
Es gibt noch mehr Beispiele, aber ich belasse es jetzt dabei. Fakt ist jedenfalls: Vieles, was heute noch an Techniken und Denkschulen in der Astrologie angewandt und zitiert wird, beruht auf einem zutiefst giftigen, menschenverachtenden Weltbild.
In den STARS kommt all das, wie erwähnt, nicht direkt vor. Nur als ganz, ganz verdruckst vor sich hinplätscherndes Ekel-Rinnsal hie und da … – immerhin hat die Romanheldin, Carla Mittmann, sich einst in ihrem Studium ein wenig damit auseinandergesetzt. (Zu Carla Mittmanns Adorno-Verehrung demnächst mehr in Teil 4 der Recherche-Juwelen.)
Und da ich diesen Beitrag keinesfalls mit besagtem Gift beenden will, schiebe ich zum Schluss noch einige Gegengifte als Lektüretipps nach.
LEKTÜRETIPPS: 2 LEUTE, DIE ES FRÜH GECHECKT HABEN – UND 2 LEUTE VON HEUTE


Man habe schlicht noch gar nicht anders denken können, damals … weil man ja noch gar nicht nicht wusste, was noch alles kommen würde … man sei eben gefangen gewesen in den Ideen der Zeit …
… wie oft ich solcherlei schon gehört oder gelesen habe, wenn es um die Nazizeit geht und darum, was verschiedene angebliche Intellektuelle damals so alles gesagt oder geschrieben haben – beinharte Demokratieverächter wie der kriegsblöde Ernst Jünger oder der dumpf röhrende Schwarzwaldhirsch Martin Heidegger zum Beispiel, oder eben auch der oben erwähnte Astro–Obermotz Thomas Ring.
NO, NON, NEIN, BULLSHIT, muss und kann man da nur entgegnen, denn es gab ja wirklich genügend Menschen, die die Zeichen der Zeit sehr früh und sehr richtig erkannt und gänzlich andere Schlüsse daraus gezogen haben, Leute, die sich nicht in Opportunismus flüchteten oder vom Menschenhass infizieren ließen – Menschen, die offensichtlich, nachweislich, schwarz auf weiß nachlesbar sehr viel schneller und schlauer waren als manch andere, die auch im Nachkriegsdeutschland (mitunter noch bis heute) gefeiert wurden oder werden, als große Denker oder Monumentalschriftsteller, die „zwischenzeitlich leider mal auf gewissen Irrwegen wandelten, tja, so war es damals eben …“
Ein heute kaum noch bekannter Nicht-Nazi-Denker aus der vor- bzw. frühfaschistischen Ära war der gebürtige Stralsunder Carl Christian Bry, ein sehr wacher, früher Kritiker des Eso-Faschismus, in Auftritt und Sound ein Prototyp des angry young man, könnte man vielleicht sagen.
1892 wurde er als „Carl Decke“ in eine Stralsunder Metzgerfamilie hineingeboren (später nahm er den Geburtsnamen seiner Mutter, Bry, als Pseudonym an), war gesundheitlich von kleinauf angeschlagen, studierte u.a. Philosophie beim Ur-Soziologen Georg Simmel, arbeitete als Journalist, Stummfilmautor, Theaterkritiker – und veröffentlichte 1924 sein Essay-artiges Buch VERKAPPTE RELIGIONEN. Kritik des kollektiven Wahns, das in den Feuilletons viel besprochen und schnell ein Beststeller wurde. „Deutschland“ kannte dieses Buch sozusagen, und da es einst so weit verbreitet war, ist es auch heute noch relativ leicht antiquarisch zu bekommen.7
Der junge Autor Carl Christian Bry, gerade erst 32, mokiert sich in den VERKAPPTEN RELIGIONEN über diverse „kapitalistische Modernitäten“ seiner Zeit, etwa über den damals gerade zur Mainstream-Mode werdenden Vegetarismus, über das kapitalistische Prinzip Arbeit und Gnade oder über das Das Warenhaus* als Konsummaschine. (*Zum Prinzip Warenhaus und was die Astrologie einmal damit zu tun hatte gleich noch.)
Vor allem ätzte Bry aber gegen allen möglichen noch viel bedenklicheren Irrglauben. „Der Übermensch hoch zwei“ heißt eines seiner Essay-Kapitel bezeichnenderweise. Ein anderes („Im Vorhof„) beschäfigt sich mit „Handschriftendeutung, Handlesekunst, Charakterologie“. Wieder ein anderes dreht sich explizit um „Das Okkulte„, u.a. um die Wahrsagerei, die ich neulich hier ein wenig beleuchtet habe.
Besonders scharf liest sich auch das Kapitel „Der Blondenwinkel„. Bei einer Sammel-Lesung gegen Antisemitismus an der Berliner Volksbühne trug ich im Winter 2023 auszugsweise daraus vor. Bry schreibt dort u.a.:
Geheimbündelei ist von Antisemitismus untrennbar. Die Antisemiten glauben tatsächlich, ihre Nation zu fördern, indem sie damit anfangen, die Mehrzahl ihres Volkes – durchaus nicht nur Juden – aus der Volksgemeinschaft oder wenigstens der Blüte der Volksgemeinschaft zu verstoßen, als die sie sich selbst fühlen. Wenn sie alle Juden der Erde als eine dunkle Verschwörerbande ansehen, so projizieren sie damit nur die eigene Neigung auf den Gegner.
So mancher Antisemit betrachte den Juden als „ein auf zwei Beinen daherwandelndes Stück Hirn“, schreibt Bry – als helleres Licht auf der Kerze – als geistig Überlegenen also. Auch daher rührt, laut Bry, der kaum verhohlene Vernichtungswille beim gemeinen „Arischdeutschen“ – der laut seit einem eigenen Mythos, der sagenwumobenen Germano-Romantik, ja eher innig fühlt statt kühl denkt – sozusagen also von Natur aus weniger checkt (oder länger dafür braucht) als der Jude per se.
Bry führt diverse antisemitische und anti-intellektuelle Schmähbegriffe auf, die auch heute (wieder) gekreischt und gegeifert werden, teils im exakten Wortlaut, den Bry schon 1924 kannte: „platter Rationalismus“ – „blutleerer Intellektualismus“ – „ästhetischer Snobismus“. Klingt alles ebenfalls wieder arg nach dem ultrarechten Anti-Intellektualismus, der derzeit (nicht nur) durch die USA fegt, nicht wahr?
Carl Christian Bry also: Er starb 1926, mit 33 Jahren, an Tuberkulose, und hat also nicht mehr miterlebt, was aus dem „kollektiven Wahn“ wurde, den er so scharfzüngig seziert hat.8
Einschub zum * Warenhaus:
Das hat mit Carl Christian Bry nichts zu tun, fiel mir aber gerade noch dazu ein: Manche Warenhäuser, etwa der Schweizer GLOBUS oder das Pariser Kaufhaus PRINTEMPS, beschäftigten in den 1920er Jahren eigene Haus-Astrologen. Als kosmische Unternehmensberater sollten diese vor allem bei der Personalauswahl behilflich sein, auch manche Banken leisteten sich konzerneigene Sterndeuter.
Besonders gefragt in diesem Geschäft war der Schweizer Astrologe Karl Ernst Krafft, dessen Lebensgeschichte auch wieder eine tragische ist. Krafft war Jude, arbeitete dennoch – erst freiwillig, später gezwungenermaßen – fleißig den Nazis zu, wurde 1943 trotz seiner Kollaboration ins KZ verfrachtet und starb im Januar 1945 in Buchenwald.
Sebastian Haffners „Geschichte eines Deutschen“

Vor 2 Monaten habe ich hier erzählt, wie dieses Buch zu mir kam (bis nach ganz unten in jenem Blog-Beitrag scrollen) – nun fand ich endlich Zeit, es zu lesen – und bin so gut wie weggeblasen davon. Haffner schrieb das im Jahr 1939 – ebenfalls einer, der sehr klar sah, was sich rings um ihn tat. Ein weiteres Buch, das alle Behauptungen a’la Wir haben doch von nichts gewusst! Lügen straft. Von einem sehr sehr deutschen Deutschen geschrieben – und vielleicht gerade deshalb so überzeugend (auch literarisch übrigens, was Haffners Tonfall und Methode angeht). Zählt nun zu den ca. Top 20 aller Bücher in meinem Regal. (Hat mit Astrologie nichts zu tun, aber mit anderen Verschwörungen, kann nicht anders, als es hier noch mal kurz zu erwähnen.)
Und dann noch 2 Leute von heute:
Auch Emma Braslavsky (*1971) und Clemens J. Setz (*1982) haben sich vor nicht allzu langer Zeit schriftstellerisch mit dem Eso-, Spiritismus- und Okkultismus-Wahn des frühen 20. Jhdts (und dem darin mal mehr, mal weniger aufblitzenden Nazi-Faktor) auseinander gesetzt, beide im Suhrkamp Verlag9, und beide Bücher habe ich, logisch, mit großem Interesse gelesen.

Emma Braslavsky schickt im Roman ERDLING (2023) die fiktive Privatdetektivin Emma Erdling auf eine groteske „Odyssee zu den hellen und dunklen Mächten deutscher Geschichte, bis hinaus ins Weltall, alle Grenzen von Zeit und Raum mühelos überschreitend“, wie es im Klappentext heißt. Eigentlich hat die Romanfigur den Auftrag, die verschollene Sahra Wagenknecht (!) zu finden, dabei öffnet sich für die Heldin eine rätselhafte Tür nach der anderen, sie stolpert von einer Galaxie in die nächste und begegnet nicht nur Außerirdischen, sondern auch vielen „echten“ Magiern, Sehern, Wunderheilern aus der Weimarer Ära. 425 sehr, sehr materialreiche Seiten hat Braslavsky da geschrieben. Man kann diese irre literarische Reise genießen oder beim Lesen irgendwann so schwindelig werden, dass man vom Rand der Milchstraße kippt, ha. Was ich selbstverständlich nicht böse meine. Eine sympathische Autorin, die hier ein interessantes literarisches Experiment gewagt hat, das um einen wirklich spannenden Stoff kreist, nein wirbelt, nein Pirouetten auf Speed dreht … – so würde ich diesen Roman, ERDLING, hier jetzt mal beschreiben.
Clemens J. Setz‘ Roman MONDE VOR DER LANDUNG (2023) setzt in den 1920er Jahren ein und erhebt eine reale Person – in fiktionalisierter Form – zum Protagonisten: den deutschen Fliegerleutnant, Schriftsteller und „Religionsgründer“ Peter Bender (1893-1944), der der sogenannten Hohlwelttheorie anhing – der Vorstellung, dass der Planet Erde eine im Kern leere Kugel ist – woraus sich ein ganz anderer Blick auf die Menschheit ergäbe, jedenfalls in der Gedankenwelt des Romanhelden Peter Bender. Der reale Bender wurde 1944 nach Auschwitz deportiert, wo er mutmaßlich auch starb. Clemens J. Setz widmet ihm mit diesem Roman ordentlich ausführliche 528 Seiten, erzählt dabei beinahe en passant, sehr gelungen, mit, wie sich die Schlinge nach der Machtergreifung der Nazis immer enger zieht, nicht nur für Bender und dessen jüdische Frau, und ist dafür mit dem Österreichischen Buchpreis ausgezeichnet worden.
Nun ja, und dann können Sie jetzt also auch die STARS lesen – die sich allerdings gänzlich im Hier und Heute, in den neuen 20er Jahren bewegen.
Bodenständig wie sonst nur was und immer die Ihre: KK
- Das Original (Fotograf unbekannt) befindet sich im Deutschen Bundesarchiv: Bild 133-068 / CC-BY-SA 3.0 ↩︎
- Für die Politikwissenschaftlerin Nocun „war der Ausgangspunkt der Recherche die kritische Beschäftigung mit der AfD“, wie es in einem Radiobeitrag zu Nocuns und Lambertys esoterikkritischem Buch heißt – und weiter: „Sie hat nach Beiträgen auf ihrem Blog ,ganz viel Fanpost‘ bekommen: Sie sei insgeheim jüdisch und gehöre ins KZ. Zudem sei ihr Name auf einer ,Todesliste‘ aufgetaucht. ,Man hat gemerkt, dass mich Leute plötzlich in ihre kruden Weltbilder einbauen, in ihre Verschwörungserzählungen.’“ Hier ist der Deutschlandfunkkultur-Beitrag zu Nocuns und Lambertys Recherchen nachzuhören. ↩︎
- Grob zusammengefasst ist besagte Untersuchung unter dem Punkt „Rassismus und Antisemitismus in Steiners Schriften“ bei Wikipedia. ↩︎
- In der hier verlinkten Quelle, dem Dorsten Lexikon eines Journalisten namens Wolf Stegemann, wird behauptet, Hubert Korsch sei im Jahr 2000 von der Universität Greifswald mit seiner Doktorwürde „posthum rehabilitiert“ worden – was ein Fehler ist. Ich wunderte mich, als ich das las und ging der Sache nach: Der „Hubert Korsch“, der 55 Jahre nach dem Untergang des NS-Regimes in Greifswald rehabilitiert wurde, hat das Geburtsdatum 3.11.1915 (wäre 1935 also gerade erst 20 gewesen) – der Nazi-freundliche Astrologe Hubert Korsch kam 32 Jahre früher, am 13.6.1883 zur Welt. ↩︎
- Einige Stimmen, vor allem hierzulande, warfen Howes Recherchen „wissenschaftliche Ungenauigkeit“ vor. Das kann ich im Ganzen natürlich nicht beurteilen. Fakt ist, dass vieles, fast alles, worüber Howe in URANIAS KINDER berichtet, sich mit ein bisschen Quellenstudium und Internet-Nachrecherche bestätigt. ↩︎
- Witzig, nicht wahr? Eine andere Hamburger Schule als DIE Hamburger Schule. ↩︎
- Nach dem Ende des Nazi-Terrors wurden Brys „Verkappte Religionen“ immer mal wieder neu aufgelegt, zuletzt 1979 im Ehrenwirt Verlag. Mein ockergelbes Exemplar, siehe Foto, erschien 1964 im Edmund Gans Verlag. ↩︎
- Mit manchem vertut sich Bry, der schreibend durchaus auch leicht konservative Thesen vertritt – zumindest aus heutiger Sicht, oder sagen wir: aus meiner Sicht. So lästert er etwa durchaus ein bisschen überflüssig über „die stürmische Verteidigung der Homosexualität“, und die Frauenbewegung seiner Tage tadelt er, sie strebe zu viel „Männlichkeit“ an und solle stattdessen „eigene Frauenuniversitäten fordern, auf denen der Stoff nach ganz anderen Gesichtspunkten gewählt und gelesen wird“ – ein glühender früher Differenzfeminist also, der hie und da auf „die Natur der Frau“ verweist. Nun ja, ich ahne irgendwie, was er da wohl meint („in seiner Zeit“), gehe in diesen Aspekten aber nicht mit ihm mit. ↩︎
- … dessen frühere Verlegerin bzw. Geschäftsführerin Ulla Berkéwicz ja ebenfalls einen gewissen Hang zur Esoterik haben soll, aber ach, wenn es tatsächlich so wäre, könnten die anderen Suhrkamp-Leute und ihre Autorinnen und Autoren ja nichts dafür, womit ich sagen will: Ich mag Suhrkamp! Bin ja selbst dort vertreten, mit diesem und jenem. //// EDIT – Ergänzung 26.4.25: Die „Causa Unseld“, die aufgeflogene NSDAP-Mitgliedschaft des Suhrkamp-Verlegers Siegfried Unseld, war mir beim Verfassen dieses Blog-Eintrags noch nicht bekannt, ich bekam (wegen gelegentlichen Gesamtabschaltens aller Maschinen) erst mit ein paar Tagen Verspätung davon mit. Jene Angelegenheit wäre hier auch ein eigenes Kapitel wert – aber das ergänze ich hier jetzt nicht auch noch. Es ist jedenfalls in gewisser Weise ein Versäumnis, dass jener „Fall“ hier nicht auftaucht, das ist mir bewusst, ich belasse den Blog-Eintrag nun aber so, wie er ursprünglich von mir verfasst worden ist. ↩︎