»EINSAMKEIT« UND POLIT-PR

Nunmehr schon zum dritten Mal hat das Bundesfamilienministerium zu einer »Aktionswoche gegen Einsamkeit« aufgerufen und an eine gesamtgesellschaftliche »Allianz gegen Einsamkeit« appelliert. Ich halte wenig bis nichts von solchem Polit-PR-Gebläse, das habe ich schon öfter mal geschrieben oder in Interviews deutlich gesagt.

Das Vorbild für derlei (Schein-)Aktionismus findet sich bekanntlich in Großbritannien, wo 2018, während der insgesamt 14jährigen Regierungszeit der britischen Konservativen, ein sogenanntes Einsamkeitsministerium mit viel TamTam eingerichtet wurde. »Versucht die Politik mit diesem Schritt, die Folgen ihrer eigenen Sparpolitik einzudämmen?« – fragte, völlig zu Recht und angemessen kritisch, u.a. ein WDR-Beitrag zum Thema.

Nun sind gerade zwei Publikationen erschienen, in denen ich erneut zum Thema »Einsamkeit« befragt wurde – wogegen ich mich innerlich zunächst immer erst einmal sträube. Zum einen, weil ich in der SINGULÄREN FRAU ja gerade gegen etliche weitverbreitete (Falsch-)Annahmen zum Thema angeschrieben habe. Zum anderen, weil ich nicht das Geschäftsmodell einer eitel herumpalavernden Pseudo-»Expertin« verfolge und es im Grunde also hasse, mich wiederholen zu müssen.

Das ausführliche Gespräch mit der Soziologin Ina Schildbach, Professorin an der Uni Regensburg, für die aktuelle Ausgabe des politikwisschenschaftlichen Magazins POLITIKUM (Titelseite siehe oben) war dann aber doch recht angenehm.

Hier meine Lieblingsstelle daraus:

POLITIKUM: Steht die Frage des Allein- oder Einsamfühlens vielleicht auch in Zusammenhang mit dem sozialen Status? Wer sich Café, Ausstellungs-, Kino-, etc. -Besuche leisten kann, ist natürlich auch außerhalb den eigenen vier Wänden stärker sozial eingebunden.

Katja Kullmann: Eine sehr gute Frage, vielen Dank, dass Sie sie stellen! Denn dieser Aspekt wird oft übersehen. Oft ist ja von „egoistischen Singles“ die Rede, die anderen angeblich den Wohnraum klauen und gar nicht wissen, wohin mit all ihrem Geld. Dabei sind die Lebenshaltungskosten für Alleinlebende generell sehr viel höher als für Leute, die sich etwa die Miete und Nebenkosten einer Wohnung teilen, als Ehepaar gemeinsam versichert sind, vom Ehegattensplitting profitieren, keinen Einzelzimmerzuschlag bezahlen müssen und so weiter. Insbesondere Alleinerziehende – bekanntlich zu 90 Prozent weiblich – tragen ein hohes Verarmungsrisiko, ebenso alleinlebende alte Frauen.

Aber ich möchte noch auf etwas anderes hinaus: Der Reichtum einer Gesellschaft drückt sich auch darin aus, wie der Zugang zu sozialer Teilhabe verteilt ist – wer kann wo dabei sein, sich einbringen, sich beteiligen, sozusagen: ein Feedback erhalten? Und wer läuft Gefahr, immer wieder ausgeschlossen zu werden? Leute mit wenig Bildung oder nichtweißer Haut, Behinderte oder schwer kranke Menschen haben es oft sehr viel schwerer, geselligen Anschluss zu finden. Ein wirklich gutes aktuelles Buch dazu möchte ich unbedingt empfehlen: Von der namenlosen Menge. Über Klasse, Wut und Einsamkeit heißt es. Geschrieben hat es der Hamburger Autor Olivier David, 1988 geboren und selbst in prekären Verhältnissen aufgewachsen. Er erzählt, wie einsam ihn seine Herkunft auch in späteren Jahren noch oft gemacht hat – wie „der eigene Lebenslauf, die Hautfarbe, der Nachname oder die Straße, in der man lebt, Türen verschließt.“

Immer wenn ich über diesen Punkt nachdenke, komme ich auf unsere Städte, wie sie gebaut und angelegt sind. Räume zur freien, ungezwungenen, kostenlosen Begegnung – ohne Eintritt – schwinden nach und nach. Sitzbänke an Bahnhöfen oder öffentlichen Plätzen werden abgebaut, um zu verhindern, dass Obdachlose sich dort einrichten. Oder man muss mindestens einen Kaffe für drei Euro fünzig kaufen, um dort und dort einen Moment sitzen zu dürfen. Was früher Marktpätze waren, sind heute Malls mit privaten Sicherheitsdiensten – mal ganz grob gesagt. Auch die
Wohnviertel sind sich zunehmend segregiert: Hier wohnen die Besserverdiener, vielleicht mit Überwachungskameras über ihren Türen, dort die Abgeschriebenen, vielleicht mit Sperrmüllbergen vor den Häusern.
Und wenn nun auch noch soziale Begegnungsstätten, Bürgertreffs, Indie-Kultur-Lokale und ähnliches der Gentrifizierung und dem politischen Spardiktat zum Opfer fallen, werden die Einsamkeitsgefühle bei vielen Menschen sicher zunehmen.

Und das Magazin der Süddeutschen Zeitung hat kürzlich in der Rubrik »Liebe und Partnerschaft« eine größere Strecke unter dem Titel GLÜCKLICHER ALLEINE gebracht – mit Gesprächsprotokollen von drei Frauen, die erzählen, warum sie das Alleinleben gerade in mittleren Jahren kennen- bzw. zu schätzen gelernt haben – immerhin also mit einem ent-dämonisierenden Ansatz, sehr schön. Auch ein Interview mit mir zum singulären Leben ist dabei. Das Paartherapeutenduo Dagmar Kieselbach und Thomas Hallet hat diese Gespräche geführt und aufgeschrieben, online ist das alles (leider hinter der Paywall) weiterhin nachzulesen, wenn Sie auf den Teaser hier unten klicken, kommen Sie direkt hin.

So viel für den Moment gerade mal wieder. Das Unterwegssein mit den STARS und alles mögliche Drumherum lassen mir momentan kaum Zeit fürs Bloggen, einen weiteren, äh, Medienspiegel werde ich demnächst mal hier hinhängen, einstweilen verbleibe ich mit besten Grüßen, immer die Ihre.

KATJA KULLMANN
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