Team Bourdieu – zauberhaftes Video

Dieses Foto stammt vom Fotografen Leonardo Antoniadis  (ich bat ihn um Erlaubnis, es hier nutzen zu dürfen), es zeigt den französischen Soziologen Pierre Bourdieu (1930 – 2002) im Jahr 2000, zwei Jahre vor seinem Tod – mein Lieblingsfoto meines Lieblingslehrers, sozusagen.

Beim ollen facebook stieß ich gerade auf einen alten Post, vor 3 Jahren dort von mir veröffentlicht, anlässlich Bourdieus (damaligen) 90. Geburtstags. Jenen Post hatte ich mit den Hashtags #TeamBourdieu #Soziologie #Sociology versehen – und ein Video hatte ich dazu verlinkt, ein 45-minütiges Doku-Feature des Hessischen Rundfunks aus dem Jahr 1983, zu den „Feinen Unterschieden“, wie Bourdieu sie benannte und untersuchte. Nun sah ich mir jenes Video noch einmal in ganzer Länge an – und war wieder völlig verzaubert .

Falls Sie sich zu Youtube begeben möchten: Hier können Sie es sehen – für Soziologie-Begeisterte ein großer Genuss (behaupte ich).

Gedreht haben den Film Hans Peter Zimmermann und Peter de Leuw, und bei fb schrieb ich dazu vor 3 Jahren (ich copye & paste es hier nun einfach):

Es ist u.a. schön, wie Bourdieu hier, als er den „Habitus“ erklärt, etwa bei Min. 6, direkt auf die Literatur kommt (er nennt Balzac & Flaubert, später auch Virginia Woolf) – aber auch sonst: das mit den Chips auf dem Spieltisch – oder die Betrachtung des Fotos der alten Arbeiterinnenhände, zuerst von einem Arbeiter, dann von einem einfachen Angestellten, dann von einem leitenden Angestellten und schließlich von einem „Intellektuellen“ – und dann: über die „geprellte Generation“ und ihre geplatzten Aufstiegsträume – und dann, etwa bei Min 35: „Max Weber tat das,was eigentlich Marx hätte tun müssen“ – und dann: Norbert Elias und das „Feld“ – und dann: die Crux mit dem Anti-Intellektualismus (der ihm auch selbst „habituell“ ursprünglich und eigentlich zueigen ist/war, wie er sagt), und das dadurch gegebene potenzielle Abdriften „nach rechts“ – und überhaupt: was für ein schlauer kleiner Fernsehfilm, damals, vor 37 Jahren – dieser voll-didaktische Ansatz: I FIND IT WONDERFUL!

Ansonsten schrieb ich bei besagtem Portal noch dieses hier:

„Ich fragte mich, ob ich die Leute einfach mochte …“ – und:⠀„Soziologie ist ein Kampfsport“.  PIERRE BOURDIEU  wäre heute 90 geworden. Mitunter ahnt oder weiß man ja erst Jahre später, wem man was genau zu verdanken hat. Von all meinen Lehrerinnen und Lehrern ist er unzweifelhaft einer der wichtigsten.

Je vous remercie, Monsieur!⠀
Je m’incline devant vous.⠀

Der Monsieur in seinen eigenen Worten:

„Es war sicher auch das Gefallen daran, ,alle Leben zu leben’, wie Flaubert sagt, zu jeder sich bietenden Gelegenheit das Abenteuer der Entdeckung eines neuen gesellschaftlichen Umfeldes einzugehen (…), das (…) meine Neugierde für die verschiedensten sozialen Erscheinungen weckte. Ich denke, daß auch die Bücher, die ich während meine endlosen Sommerferien las, mir die Lust eingegeben haben, in unbekannte soziale Welten einzutauchen. Ich verbrachte Stunden damit, Gesprächen zuzuhören, in den Cafés, beim Boule oder Fußball, in den Postämtern, aber auch bei Abendgesellschaften, Cocktailpartys oder Konzerten. Dabei geschah es übrigens nicht selten, daß ich unter einem Vorwand ein Gespräch begann (was sehr viel einfacher ist, als man glaubt), mit jemandem, den ich genauer kennenlernen, den ich ausfragen wollte, ohne daß es den Anschein hatte, ich wollte etwas Bestimmtes in Erfahrung bringen. Ich fragte mich, ob ich die Leute einfach mochte, wie ich lange Zeit glauben konnte, oder ob ich ihnen nicht irgendwann eine berufliche Neugierde entgegenbrachte, die eine Form der Zuneigung beinhalten konnte.“⠀

Möge der Monsieur nun andernorts mit Leuten ins Gespräch kommen, über Dinge, die wir hienieden nicht erahnen können, möge er sich weiterhin gut unterhalten und seine Schlüsse daraus ziehen.

Die obigen Sätze sind aus Bourdieus schmalem, spätem Band „Ein soziologischer Selbstversuch“ zitiert.

Es gibt übrigens auch einen jüngeren, aktuelleren Bourdieu-Film noch: „Soziologie ist ein ein Kampfsport“, 2009 von Pierre Carles veröffentlicht, ebenfalls: sehr sehenswert. Aber der oben erwähnte 1983er-Beitrag des Hessischen Rundfunks ist noch viel interessanter, finde ich, entstand er doch 26 Jahre früher, als der Name »Pierre Bourdieu« sich in den Gesellschaftswissenschaften gerade erst herumzusprechen begann.

Auch dies schrieb ich vor einigen Jahren mal (in einem nie veröffentlichten Manuskript) – und hatte dabei ebenfalls Bourdieu im Sinn:

Die Psychologie ermutigt einen, die Dinge persönlich zu nehmen – die Soziologie inspiriert einen, die Dinge politisch zu sehen.

Was wäre ich – wäre mein Geist – ohne diesen Mann?
Ich kann (und möchte) es mir eigentlich gar nicht vorstellen.
Bei fb postete ich schließlich noch das Selfie, das Sie hier unten noch sehen können, und schrieb dazu (in Social-Dingsda-üblicher Eitelkeit):

Im Grunde versuche ich all die Jahre ja bloß, diesen Buchtitel nachzuleben. (Auch in dem, was ich schreibe, übrigens.)

Immer die Ihre:KK

Katja Kullmann