AHOI,
während draußen ein völlig unnötiger Februarschnee fällt (möchte man nicht viel lieber endlich mal Frühling haben jetzt? – ja möchte man) und die Welt sich auch sonst nicht zum Besseren entwickelt (ganz im Gegenteil), erzähle ich hier jetzt stur von einer meiner Lieblingsbeschäftigungen: dem Stöbern in Gebrauchtbuchhandlungen.
Was früher der Plattenladen für mich war, ist heute das Antiquariat.
So habe ich es schon öfter gesagt oder mal irgendwohin geschrieben. Und tatsächlich hat es sich bei mir über die vergangenen Jahre zu einer kleinen Leidenschaft entwickelt: Wenn ich mich aus Recherchegründen oder aus persönlicher Neugier für ein vergriffenes Buch interessiere, suche ich gezielt nach möglichst alten Exemplaren – idealerweise nach der allerersten Originalausgabe (und nicht nach einem Taschenbuchnachdruck von irgendwann später).
Das hat keineswegs damit zu tun, dass ich besonders „wertvolle Antiquitäten“ horten möchte, es hat keine materiellen Gründe. Nicht selten sind sogar Originalausgaben aus den 1920er Jahren, über 100 Jahre alt und eher schwer zu finden, schon für acht oder zwölf Euro zu haben (schlicht, weil sich niemand dafür interessiert – ha).
Nein, ich bevorzuge die alten, möglichst frühen Ausgaben aus einem inhaltlichen Grund: Oft erzählt die Gestaltung der Bücher, die Cover-Motive, die Grafik, die Typographie, nämlich gleich etwas mit – über die Zeit, in der das jeweilige Buch aktuell war. Über die, nun ja, Zielgruppe, die damals damit angesprochen werden sollte. Ein Buch gewinnt durch die gestalterische Mode seiner Zeit gewissermaßen eine zusätzliche … Charakterebene. Ja, so lässt es sich vielleicht am besten sagen.
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Bin ich eilig auf der Suche nach einem bestimmten Titel, klicke ich mich durch die Angebote von Online-Antiquariaten, insbesondere wenn es sich um englischsprachige Bücher handelt. (Dabei stieß ich zum Beispiel auf David Karps Roman One von 1953, über den ich kürzlich hier ein wenig erzählt habe). Ich räume allerdings ein, dass das nicht ganz sauber ist, denn so weit ich weiß, hängen etwa abebooks und zvab, die beiden größten Antiquariatsplattformen, an der Vertriebsstruktur von Amazon, dem miesen Drecksding. Andererseits verbergen sich hinter den Anbietern meist kleine unabhängige Händler, die ihre Ware anders kaum unter die Leute bringen können. Tja.
Manchmal kruschele ich mich auch ziellos und gemütlich durch das Angebot eines antiquarischen Lädchens (das kann Stunden dauern) oder wühle auf Flohmärkten durch Bücherstapel und lasse mich überraschen, was ich da so finde. Oft genügt schon ein spektakuläres Cover oder eine irre Inhaltsangabe, und ich schlage für zwei oder vier Euro zu. Dolle Dinger habe ich so schon aufgetan! Und außerdem habe ich dabei immer das Gefühl, ein noch intaktes Kulturprodukt vor der, nun ja, Vermüllung zu retten.
Ganz oben sehen Sie eine kleine Auswahl meiner staubigen Schätzchen. Studenten, Liebe, Tscheka und Tod von Alja Rachmanowa, das rotschwarze Ding links unten, war zum Beispiel ein Flohmarktzufallsfund. Es stammt aus dem Jahr 1931. Zwei Euro fünfzig habe ich dafür bezahlt und habe es, ehrlich gesagt, bis heute nicht gelesen – aber es sieht unfassbar gut aus, oder? Das ist der Look der Moderne im frühen 20. Jhdt, inklusive der Frisur der Cover-Figur, das ist der Schick der Neuen Frauen jener Zeit1.
Und, ach, wie soll ich’s sagen: Es rührt, vielmehr be-rührt mich, mir vorzustellen, wie eine Passantin mit ähnlicher Frisur, einem Bubikopf, einem Pagenschnitt, damals vielleicht vor einem Schaufenster stand, das Buch sah, ihr spärliches Bürofräulein-Geld zusammenkratzte, das revolutionär aufgemachte Buch kaufte … bis es dann über tausend Umwege in der Grabbelkiste landete, aus der ich es jetzt herausgefischt habe. (In manchen alten Büchern finden sich ja auch Widmungen, Geburtstagswünsche und ähnliches – man kann kleine Geschichten dazu fantasieren.)
Ebenfalls allein wegen seiner Optik habe ich die Phänomenologie des Kitsches von Ludwig Giesz einmal aus einem Antiquariat mitgenommen (oben in der Mitte). Das hellgraue Leinencover, die schnörkellose grüne Schrift: Alles andere als „kitschig“ – und damit ja ein schöner gestalterischer Widerspruch zum Titel. Das fand ich witzig. Von 1971 ist dieser Band.
Hier nun noch einige meiner besonders geliebten Funde. Huch, jetzt stelle ich sie hier aus wie in einer Angeberinnenvitrine. Aber ich schwöre: Keiner der folgenden Bände kostete mehr als 20 Euro.
Fritz Giese: Girl-Kultur – Delphin-Verlag – 1925 (aus meiner Recherche zur SINGULÄREN FRAU):


Susan Sontag: Kunst und Antikunst. Literarische Analysen – Rowohlt Paperback – 1968


Hans Magnus Enzensberger: Der Untergang der Titanic – Suhrkamp – 1978


Gisela Elsner: Herr Leiselheimer und weitere Versuche, die Wirklichkeit zu bewältigen – Autoren Edition Bertelsmann – 1973


Stuart Hall & Tony Jefferson (ed.): Resistance through Rituals. Youth Subculture in post-war Britain – Hutchinson – Faksimile / 1976


- Über die Sozialfigur der Neuen Frau, einer hochemanzipierten Vorreiterin heutiger Frauen, habe ich in der SINGULÄREN FRAU einiges geschrieben. ↩︎